)
Campusuniversitäten sind eine eigene Welt. Wie in einer Kleinstadt leben tausende Studenten auf relativ engem Raum zusammen. So auch am Royal Holloway und Bedford New College der University of London, an dem ich letztes Jahr zehn Monate studierte. Es gibt Cafés, Pubs, eine Kirche, eine Bank, einen Bookshop und strenge Sicherheitsvorkehrungen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
1.45 a.m. - der dritte Tag: Die meisten sind aus dem Tiefschlaf gerissen worden und stehen jetzt im Pyjama im Freien. Einer kommt anscheinend direkt aus der Dusche. Man hatte uns eine Feuerübung angekündigt, als wir ins Studentenheim eingezogen sind, aber keiner hat damit gerechnet, dass sie so früh sein würde. Dank der sehr sensiblen Einstellung des Alarms sollten wir ihn in den kommenden Wochen und Monaten auch noch öfter hören.
Wenn man am Campus des Royal Holloway College spazieren geht, sieht alles ganz friedlich aus. Erst beim zweiten Hinsehen bemerkt man die vielen Kameras und die kleinen Kästchen an den Türen, durch die man eine Magnetstreifenkarte ziehen muss, um eingelassen zu werden. Untertags stehen die meisten Gebäude jedermann offen, aber mit Hereinbrechen der Nacht ändert sich das.
Ab etwa sieben Uhr abends machen die Nachtwächter ihren Kontrollgang durch die Gebäude und aktivieren die Sicherheitssperren und Alarme. Nur wer eine gültige Karte hat und den Code kennt, kann zum Beispiel in der Nacht noch im Computerraum arbeiten. Collegefremde Personen dürfen zu nächtlicher Stunde überhaupt nur in Begleitung am Campus sein. Das gilt auch für Parties und das Studentenpub.
Am Eingang muss jeder Student seine "Union-Card", das ist die Mitgliedskarte der Studentenvereinigung, vorweisen. Für jeden Gast muss ein Student unterschreiben, um die Verantwortung zu übernehmen. Wenn sich der Besucher nicht "benimmt" kann dem Studenten die Union-Card auf bestimmte Zeit entzogen werden.
3.30 a.m.: Schon zum dritten Mal stehen wir in dieser Nacht in der Kälte. Der erste Feueralarm wurde durch ein Stück Pizza ausgelöst, das jemand für 20 Minuten in die Mikrowelle gegeben hat. Danach war ein verbrannter Toast Schuld daran, dass etwa 200 Menschen ihre Zimmer mitten in der Nacht verlassen mussten. Der letzte Alarm ist angeblich absichtlich herbeigeführt worden.
Störenfriede gibt es überall, und um diesen vorzubeugen, ist im Studentenpub und bei Veranstaltungen immer Security-Personal anwesend. Auch hier gilt: Wer sich nicht an die Regeln hält, fliegt raus. Zum Beispiel bei Beschmutzung von Uni-Eigentum durch übermäßigen Alkoholgenuss oder Weigerung das Lokal zur Sperrstunde zu verlassen.
Aber auch bei Tag unterliegen die Studenten vielen Regeln. So wird zum Beispiel eine Parkerlaubnis nur für bestimmte Teile des Campus ausgestellt. Wer sein Fahrzeug falsch abstellt, muss zahlen. Eine weitere Schikane ist der "room check". Unangekündigt werden die Zimmer auf Reinlichkeit und eventuelle Gäste überprüft, die es nicht geben darf.
Lediglich den ausländischen Studenten fallen die strengen Sicherheitsvorkehrungen auf. Für Engländer sind sie normal, vor allem durch die Nähe zu London, wo es an allen Ecken Videokameras gibt. In einigen U-Bahnen finden sich sogar offizielle Aufkleber: "Smile, you´re on camera."
Nach einiger Zeit bemerkt man auch die Security-Leute nicht mehr, und wenn man es genau nimmt, fühlt man sich sicher auf so einem Campus. Niemand muss mit dem Auto nach Hause fahren. Keiner hat weit zu gehen und selbst in betrunkenem Zustand finden die meisten noch den Weg in ihre Wohnungen. Für den Fall der Fälle ist der Wachdienst da, der Herumstreuner aufliest.
Das Unangenehmsteb sind jedoch die Feueralarme. Sie fallen unter die Kategorie "gemeinschaftliche Probleme und Ärgernisse" und sind somit ein sehr verbindender Bestandteil des Campuslebens. Viele britische Studenten, die nach Österreich gekommen sind beklagen, dass sie keinen Anschluss gefunden haben und kaum Kontakt zu "Einheimischen" hatten. Das liegt aber nicht nur an der sprichwörtlichen Skepsis der Wiener, denn in England wäre es mir genauso ergangen, hätte ich nicht an einer Campusuniversität studiert.
Mit der Umwandlung des Alten Allgemeinen Krankenhauses (AAKH) in einen Universitätscampus sollte auch in Wien eine Studentensiedlung geschaffen werden, aber wohnen werden Studenten dort nie.