Debakel in Hannover könnte das Aus für den FDP-Chef bedeuten.
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Berlin. Vor nicht ganz vier Jahren hätte man im Willy-Brandt-Haus in Berlin eine Stecknadel fallen hören können. Gerade war die erste Hochrechnung übertragen worden, und die Genossen in der SPD-Zentrale konnten es nicht fassen: 22,5 Prozent stand da. Am Ende wurden es 23 Prozent, ein Minus von 11,2 Punkten - das war nicht viel besser.
Acht Monate vor der nächsten Bundestagswahl errechnete das Umfrageinstitut Forsa ein ähnliches Desaster. Wäre am Sonntag Wahl, käme die SPD auf 23 Prozent. Laut dem Institut infratest-dimap wäre das Ergebnis mit 26 Prozent etwas besser. Umfrageergebnisse sind freilich mit Vorsicht zu genießen. Feststeht dennoch: Der SPD-Kanzlerkandidat zieht nicht, im Gegenteil. In den vergangenen Monaten dominierten Peer Steinbrücks hoch dotierte Vorträge die Auseinandersetzung mit der SPD. Zuletzt kam noch eine Debatte über die Höhe des Kanzlergehalts hinzu.
Nun verbinden viele Wähler mit Steinbrück schlicht "Geldgier". Die SPD - wie auch alle anderen Parteien - fokussiert zurzeit vor allem auf Sonntag: Vom Wahlergebnis in Niedersachsen erhofft sie sich einen ordentlichen Auftrieb für den Bundestagswahlkampf.
Im zweitgrößten deutschen Bundesland sieht es gut aus für Rot-Grün - in erster Linie, weil es für die Liberalen so schlecht aussieht. Nach zehn Jahren konservativ-liberaler Regierung könnte es am Sonntag damit vorbei sein. Denn schafft es die FDP nicht in den Landtag, hat auch der amtierende Ministerpräsident David McAllister keine Chance, wieder in das Amt zu kommen: Rot-Grün oder Schwarz-Gelb heißt es in Niedersachsen.
Dabei sind die Umfragen für den Halbschotten sehr gut. Am Montag, Mittwoch und Donnerstag hat ihn dazu die Kanzlerin beim Wahlkampf unterstützt, Angela Merkels Beliebtheit steigt, wie jene von Peer Steinbrück fällt.
Bei den Wahlkampfveranstaltungen ist stets das gleiche Bild zu sehen: Dutzende Hände halten "I’m a Mac"-Schildchen in die Höhe. "Unser Häuptling ist ein Schotte und wir sind ein starker Clan!", geht das Wahllied. McAllister ist volksnahe, wie es so schön heißt, das ganze Land kennt den 42-Jährigen, dessen Vater aus Glasgow stammt. "Ich bin gerne Merkels Mac", sagt McAllister, der als Ministerpräsident nachrückte, als Christian Wulff 2010 Bundespräsident wurde.
Hilfe von Merkel oder McAllister für die Liberalen kommt indes nicht. Man ruft die eigene Zielgruppe nicht dazu auf, eine der zwei zu vergebenden Stimmen den Freidemokraten zu geben. Die FDP werde es aus eigener Kraft in den Landtag schaffen, sagte Merkel vor zwei Wochen. In Stuttgart bekam man fast zeitgleich eine Vorstellung geliefert, die dieser Aussage kaum schlechter entsprechen hätte können: Im Staatstheater war die FDP zum traditionellen Dreikönigstreffen zusammengekommen. Zuvor hatten Parteifreunde einen schnellen Wechsel an der Spitze gefordert. Doch Rösler sah fast verloren aus auf der Bühne, er wirkte hölzern und kraftlos. Immer und immer wieder kam mehr oder weniger inhaltsleer das Wort "Freiheit" in seiner Rede vor - wofür die Liberalen tatsächlich stehen, war nicht herauszuhören. Sein Vorredner, Klubchef Rainer Brüderle, hatte inhaltlich fast ähnlich wenig zu bieten - doch er tobte, schimpfte auf die Grünen, überschlug sich förmlich mit Begeisterung für seine Partei und lobte auch Rösler.
Nicht erst seit dieser Rede gilt der 67-Jährige als "neue Hoffnung" der FDP. Bisher hat er es freilich abgelehnt, dem 39-jährigen Rösler zu folgen. Am Freitag sagte Brüderle allerdings, er sei dafür, nicht erst auf dem Parteitag im Mai die FDP-Spitze zu wählen. Offensichtlich soll Rösler rasch als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl bestätigt - oder, was als wahrscheinlicher gilt, als Parteichef abgelöst werden. Schafft es die FDP am Sonntag nicht über die 5-Prozent-Hürde oder schneidet nur marginal besser ab, ist es sehr sicher, dass der Parteitag vorgezogen werden wird.
SPD und Grüne setzen auf die Niederlage der FDP. "Alle Umfragen, die ich kenne, sagen, ja, es wird knapp, keine Frage. Aber die allermeisten Umfragen sagen auch: Rot-Grün liegt vorne. Wir können es schaffen", sagt Niedersachsens SPD-Spitzenkandidat Stefan Weil, Bürgermeister von Hannover. Neben ihm auf der Bühne steht die beliebte Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft. Auch Steinbrück war in Niedersachsen gewesen. Ob auch sein politisches Überleben von der Wahl abhängt? Klubchef Frank-Walter Steinmeier weist das gegenüber "Spiegelonline" zurück: "Peer Steinbrück ist Kanzlerkandidat vor und nach der Niedersachsen-Wahl."