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Fidel Castros kleiner Bruder dreht auf

Von Alexander U. Mathé

Politik

Wirtschaftlicher Wandel im Dienste politischer Kontinuität. | USA nicht erfreut. | Havanna/Wien. Millimeterweise wollte Raúl Castro, Fidels jüngerer Bruder, Kuba reformieren. Doch der im Februar frisch gekürte Staatschef hat in den ersten Monaten seiner Amtszeit Liberalisierungen mit einer Geschwindigkeit in die Wege geleitet, als hätte er Siebenmeilenstiefel. Plötzlich ist es für Kubaner möglich, Mobiltelefone und Computer zu kaufen oder regimekritische Leserbriefe zu schreiben, die auch veröffentlicht werden - ja, sogar der Einheitslohn soll in dem kommunistischen Land abgeschafft werden.


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Die Liberalisierungsbestrebungen auf der Karibikinsel haben die EU dermaßen beeindruckt, dass sie in der Nacht auf Freitag die Aufhebung ihrer Sanktionen gegen Kuba beschlossen hat. Das teilte EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner nach Beratungen mit den Außenministern der 27 Mitgliedstaaten in Brüssel mit.

Wie eine Flut brach der Wandel über die Kubaner herein. Auf einmal dürfen sie in die bisher nur für Touristen zugänglichen internationalen Hotels; Handys, Computer, Fernseher und DVD-Player sind im Handel frei erhältlich. Bei aller Euphorie gibt es jedoch einen Wehrmutstropfen: Kaum jemand auf der Karibikinsel kann sich diese Produkte leisten.

Wandel ohne Nutzen?

Daran ist zum einen der Preis schuld: Ein Kaffee in der Bar eines exklusiven Hauptstadthotels kostet sechs Euro, also die Hälfte eines durchschnittlichen kubanischen Monatslohns. Selbst das günstigste Handy ist nicht unter 100 Euro zu haben. Zum anderen werden Luxusprodukte und High-Tech nur gegen konvertible Pesos (CUC) verkauft.

Die meisten Kubaner verfügen aber lediglich über die zweite Währung des Landes, die kubanische Pesos, die ein 24stel des Dollarersatzes CUC wert sind. Diesen wiederum erhalten lediglich die Kubaner regelmäßig, die entweder im Tourismus tätig sind, oder von Verwandten und Bekannten aus dem Ausland Geld geschickt bekommen. Schätzungen zufolge sollen das etwa 40 Prozent der Bevölkerung sein.

Doch auch wenn sich die meisten Kubaner die schönen neuen Sachen vorerst nicht leisten können, will Castro alles tun, damit sich das ändert. Er hat angekündigt, die Gehälter anzuheben "damit der Lebensstandard eines jeden im Verhältnis zu seinen legalen Einkünften steht." Damit nimmt er ein Problem in Angriff, das Kuba schon lange beschäftigt, besonders seit dem boomenden Tourismus. Ein "privat" agierender Taxler verdient auf Kuba teilweise mit einer einzigen Fahrt das fünffache Monatsgehalt eines durchschnittlichen staatlichen Angestellten.

Die Gehaltserhöhung soll offensichtlich auf geradezu kapitalistische Art und Weise erreicht werden: Durch die Aufhebung des Einheitslohns. Es gebe die Tendenz, "dass alle das Gleiche verdienen und diese Gleichmacherei ist nicht hilfreich", sagte der stellvertretende Arbeitsminister, Carlos Mateu. In Zukunft soll jeder Arbeiter das verdienen, "was er zu produzieren fähig ist". In der staatlich gelenkten Wirtschaft verdienen die meisten Kubaner monatlich etwa zwölf Euro. Die neue Regelung soll schon ab Anfang August in allen Betrieben des Landes wirksam sein. Die Methode gilt ganz offiziell als Werkzeug zur Steigerung von Produktivität und Qualität.

Dass die EU nun ob dieser Reformen einen Annäherungs-Kurs fährt, erfreut die kubanische Opposition ganz und gar nicht. Die Entscheidung sei bestimmt von "wirtschaftlichen Interessen und heuchlerisch", sagten Dissidenten. Ganz von der Hand zu weisen ist die Argumentation nicht. Denn schon jetzt stehen zahlreiche Investoren im Tourismus- und Agrarsektor Schlange. Denn - so sind sie sich einig - mit Kuba kann man gut Geschäfte machen. Tatsächlich sind es hauptsächlich wirtschaftliche Reformen, zur Ankurbelung der Industrie und landwirtschaftliche Produktion, die von Havanna aus betrieben werden. Politisch, da sind sich die meisten Experten einige, will die kommunistische Elite ihre Macht erhalten. Noch immer geht die Regierung hart gegen Dissidenten vor. Erst vor kurzem wurden Medienberichten zufolge bei einem solchen Polizeieinsatz 30 Menschen verhaftet und zwei krankenhausreif geschlagen. Auch die USA sind mit dem Entgegenkommen Europas nicht glücklich und bemängeln die nach wie vor mangelnden politischen Reformen.

Dabei hat es auch hier erste zaghafte Schritte gegeben. So soll beispielsweise das Internet liberalisiert werden. Erstmals werden - staatlich kontrolliert - regimekritische Leserbriefe veröffentlicht; wenn auch sie oft Punkte enthalten, die der Staat ohnedies zu ändern plant. Auch in Sachen Menschenrechte war Havanna aktiv und hat Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt. Damit dieser Trend nicht abreißt, will die EU die Entwicklung politischer Reformen genau zu verfolgen und in einem Jahr überprüfen, ob die kubanische Regierung ihre Anforderungen auch weiterhin erfüllt.