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"Fidesz ist heute die Mafia"

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Die Opposition hofft auf eine Überraschung bei der Parlamentswahl am 8. April. Ein Besuch in der von Márki-Zay regierten Stadt.


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Hódmezövásárhely.Draußen bröckeln Putz und Pflastersteine, drinnen sind die Vorhänge bunt bestickt, die Sessel weich. Antikisierender Stuck ziert das verspielte eklektische Interieur in den großzügigen Fluren. Doch seit einem Monat ist es im ersten Stock des Rathauses von Hódmezövásárhely mit der Gemütlichkeit vorbei, denn dort residieren jetzt zwei politische Gegner Tür an Tür: der neue parteilose Bürgermeister Péter Márki-Zay und János Lázár, Kanzleiminister des Regierungschefs Viktor Orbán. Das Vorzimmer teilen sich die beiden. Lázár steht als Parlamentsabgeordnetem auch in seinem Heimatwahlkreis ein Büro zu. Einst war er selbst Rathauschef in dem südostungarischen 45.000-Einwohner-Ort.

Alle gegen Orbáns Partei

Was sich die beiden wohl zu sagen haben, wenn sie einander im Rathaus begegnen? "Ich habe Lázár seit meiner Wahl hier noch nicht gesehen", sagt Márki-Zay der "Wiener Zeitung". "Aber wir kennen uns von früher. 2009 hatte Lázár mir einen Job in seinem Team angeboten, mit sehr guter Bezahlung. Aber ich habe das abgelehnt, weil Freunde mich gewarnt haben. Lázár duldet nicht den leisesten Widerspruch, Kritiker wirft er nicht nur hinaus, sondern übt nachher auch noch Rache, um zu verhindern, dass der Unbotmäßige anderswo Arbeit bekommt."

Bis vor kurzem hatte die Büronachbarschaft der Lokal- und Landespolitik keine ideologischen Probleme aufgeworfen, denn der bisherige Bürgermeister István Almási gehörte derselben Partei an wie Lázár: Fidesz - zu Deutsch: Bund Junger Demokraten -, der am 8. April die dritte Parlamentswahl in Folge gewinnen dürfte. Dass der neue Sieg ebenso grandios werden wird wie die beiden vorherigen, die Fidesz die fast absolute Macht in Form einer Zweidrittelmehrheit gebracht hatten, ist gar nicht mehr so sicher. Die Zweifel daran kommen ausgerechnet aus Hódmezövásárhely. Nach dem Tod von Almási im November vergangenen Jahres waren Neuwahlen notwendig geworden. Und die hat überraschend eben nicht der Fidesz-Kandidat, sondern der parteilose Márki-Zay Ende Februar gewonnen - mit Unterstützung aller Oppositionsparteien, von linksliberal und grün bis hin zur extrem rechten Jobbik. All dies, obwohl der Ort als Fidesz-Hochburg galt.

Das hat auch Budapester Regierungskreise alarmiert. Orbán wettert nun noch schärfer gegen angeblich drohende Ströme von Migranten, die der ungarischstämmige US-Milliardär und Philanthrop George Soros nach Ungarn bringen wolle. Am Nationalfeiertag, dem 15. März, drohte der Premier mit einer nicht näher definierten "Genugtuung" nach der siegreichen nächsten Wahl.

Was fehlt noch zur Genugtuung? Orbán beherrscht bereits Medien, Wirtschaft, Verwaltung und Teile der Justiz. Immerhin führten 50 Prozent der Richter in Ungarn derzeit immer noch faire Prozesse, sagt Márki-Zay. Doch die Staatsanwälte seien bereits völlig unter Kuratel der Regierung und "nur dazu da, um ihren Job nicht zu machen". Die Ankläger wiederum sind in jedem EU-Land die erste Adresse der EU-Kontrollbehörde Olaf bei Korruptionsverdacht. Kaum anzunehmen, dass zum Beispiel Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz, dessen Firma Elios laut Olaf-Angaben nach getürkten Ausschreibungen in mehreren Orten Ungarns Aufträge zur Straßenbeleuchtung erhalten hatte, in Ungarn vor Gericht kommt. Der erste dieser Aufträge wurde Elios ausgerechnet für Hódmezövásárhely erteilt.

Auch Positives an Fidesz

Hat Márki-Zay wegen der Korruptionsskandale um Fidesz die Wahl gewonnen? Dies sei nicht der Hauptgrund gewesen, sagt er. Die meisten Ungarn würden die Korruption als unvermeidlich akzeptieren, auch weil sie diese in allen Parteien wahrnehmen. Ohnehin protegiere Fidesz sogar korrupte Politiker aus dem gegnerischen Lager, um das Thema öffentlich klein zu halten. "Viel mehr als die Korruption ärgert die Menschen die politische Einschüchterung, die sie erleben", meint der Rathauschef. "Es gibt Staatsangestellte, die wegen eines Likes für meine Facebook-Seite mit Entlassung bedroht worden sind."

Wählbar war Márki-Zay, weil er als tief katholischer Vater von sieben Kindern in das Bild eines Konservativen passt, das er von sich selbst zeichnet. Er verurteilt auch nicht die gesamte Fidesz-Politik. 2010 habe er Fidesz gewählt, weil er mit den Sozialausgaben der Sozialisten nicht einverstanden war. "Ich fand auch gut, dass Fidesz die Umsatzsteuer erhöht und die Einkommenssteuer verringert hat, ebenso wie die Pflicht für Sozialhilfeempfänger, gemeinnützige Arbeit zu verrichten." Ganz besonders schätzt er das von Fidesz eingeführte Rauchverbot in geschlossenen öffentlichen Räumen. "Jetzt kann man mit Kindern in ein Café gehen, ohne ihre Gesundheit zu gefährden." Hingegen habe er 2014 gegen Fidesz gestimmt, weil Orbán bis dahin die Macht zentralisiert und alle Schlüsselpositionen mit seinen Leuten besetzt habe. "Fidesz ist heute die Mafia."

Mit entscheidend für seinen Sieg sei auch Orbáns Bruch mit dem Oligarchen Lajos Simicska gewesen, sagt Márki-Zay. Simicska war seit Studentenzeiten Orbáns intimster politischer Weggefährte und der wichtigste Geldbeschaffer des Fidesz. Warum es 2015 zum Zerwürfnis kam, ist nicht ganz klar. Einige Experten meinen, Orbán habe einfach verhindern wollen, dass Simicska zu mächtig wird. Der neue Günstling des Premiers ist nun Lörincz Mészáros, vormals Gasinstallateur aus Orbáns Heimatdorf Felcsút und jetzt schwer reicher Abonnent für Staats-Bauaufträge. Simicska kontrolliert allerdings immer noch ein paar Plakatflächen, eine Zeitung, einen TV- und einen Radiosender.

"Ohne Simicska", sagt Márki-Zay, "hätte ich keinen Platz für meine Plakate und auch keinerlei Berichterstattung in unabhängigen Medien bekommen". Der 45-jährige Neu-Politiker, der bisher Marketingmanager bei einem multinationalen Konzern war, will nun alles dafür tun, Orbáns Herrschaft zu brechen. Zwar sieht auch er kaum Chancen, Fidesz um die absolute Mehrheit zu bringen, aber er hofft, dass wenigstens die Zweidrittelmehrheit schmilzt. "Wenn Fidesz wieder die Wahl so hoch gewinnt, wird das eine nationale Tragödie für Ungarn wie Trianon, weil noch mehr auswandern und nicht wieder zurückkehren werden." Durch den Vertrag von Trianon nach dem Ersten Weltkrieg verlor Ungarn zwei Drittel seines Territoriums, drei Millionen Magyaren wurden Bürger der Nachbarländer. Seit dem zweiten Amtsantritt Orbáns 2010 sind laut Fachleuten etwa eine halbe Million Ungarn ausgewandert.

Seine erste Aktion im Parlamentswahlkampf bereut Márki-Zay: Er hatte bei einer Pressekonferenz ironisch einen "Migrantenzähler" präsentiert - ein Schild mit einer Tabelle, in der die offizielle Flüchtlingszahl, die Ungarn trotz fremdenfeindlicher Rhetorik aufgenommen hat, mit 2382 angegeben wurde. In der zweiten Spalte sah die Tabelle Platz für die Migrantenzahl vor, die Soros laut Fidesz-Unterstellung nach Ungarn bringe. Diese Rubrik ließ Márki-Zay leer. Seine Verbündeten fanden diesen Gag nicht gut, sagt er - zumal Orbáns Strategen versuchen, die gesamte Opposition, einschließlich der extrem rechten Jobbik, als Migrantenfreunde zu brandmarken.

Kein heimlicher Jobbik-Mann

Man darf annehmen, dass vor allem Jobbik mit dem "Migrantenzähler" nicht einverstanden war. Schließlich war die Partei die Erste gewesen, die Márki-Zay gebeten hatte, zu kandidieren. Ist der Rathauschef also ein heimlicher Jobbik-Mann? Er verneint es, äußert sich aber zurückhaltend über die Partei. "Es gibt viele Probleme mit Jobbik, aber ich will sie nicht kritisieren, denn ich bin ihnen dankbar und ich wünsche ihnen Erfolg bei der Wahl. Sie hatten mich schon vor acht Jahren gebeten, ihr Kandidat zu sein, damals hatte ich Nein gesagt, weil ich Roma und die EU mag."

Seither habe Jobbik sich verändert, habe verstanden, dass die EU gut für das Land sei, und habe die Hasstiraden gegen Juden und Roma eingestellt. "Repositionierung nennen wir das hier in der Marketingstrategie. Ich weiß das, denn dies habe ich jahrelang hier in Szeged an der Universität unterrichtet." Ist die ideologische Wende bei Jobbik authentisch? "Ich glaube es ihnen", sagt Márki-Zay, "aber die Wähler werden es ihnen nicht glauben, solange noch zu viele alte Gesichter dort im Rampenlicht stehen."