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"Finanzindustrie dominiert Finanzmarktreform." | Studie: EU hört zu 80 Prozent auf Finanzlobbyisten. | Faymann: Einige Länder wollen sich Vorteile verschaffen. | Brüssel/Wien. Die Kritik des EU-Parlaments am zu großen Einfluss der Banken auf jene EU-Gesetze, die sie selbst betreffen, ist für die Lobbying-Transparenz-Plattform Alter-EU schon lange ein Thema. Rund 40 der etwa 1000 EU-Expertengruppen, welche vor allem die EU-Kommission beraten, beschäftigen sich direkt mit dem Finanzmarkt und dessen Reform. 80 Prozent der externen Berater kommen laut einer Erhebung der Plattform aus Finanzinstituten und einschlägigen Branchenverbänden. Ihre Zahl übersteigt sogar jene der EU-Beamten, die an den Reformgesetzen für den Finanzmarkt beschäftigt sind.
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An dieser Praxis werde bisher beinhart festgehalten, erzählt Daniel Pentzlin von der NGO Friends of the Earth Europe, einem Mitglied von Alter-EU. "Auf unseren massiven Druck wurde in eine neue Gruppe eine Vertreterin einer niederländischen NGO eingeladen." Selbst als Mitglied des Gremiums werde es ihr aber schwierig gemacht, an Informationen zu kommen. Sie erhalte etwa die Tagesordnung von Sitzungen verspätet oder gar nicht, während die Vertreter der Finanzindustrie besser vernetzt und früher informiert würden.
Aufruf gegen Übermacht
Der Aufruf der EU-Parlamentarier gegen die Übermacht der Finanzlobbyisten bei der Finanzmarktreform (www.finance-watch.org) sei daher "absolut berechtigt", sagt Pentzlin der "Wiener Zeitung". Es fehle an Kapazitäten, um in der Substanz gegen die Argumente der Finanzlobby vorgehen zu können und so eine ausgewogene Sicht auf die Reformnotwendigkeiten zu gewinnen.
Das liege allerdings nicht daran, dass es auf NGO- und EU-Parlamentsseite zu wenig Expertise gebe, sondern an der Argumentationsstrategie der Finanzindustrie: Deren Vertreter neigten dazu, konkrete Gesetzesvorschläge auf eine derart detaillierte Ebene hinunterzubrechen, die ohne jahrelange unmittelbare Erfahrung mit genau zugeschnittenen Rechenmodellen und Analysen nicht mehr fassbar seien. So könne der Einfluss von Eigenkapitalquoten für die Regulierung von Derivaten klar nachvollzogen werden. Argumente, die sich auf komplexe Untergruppen von Credit Default Swaps (verbriefte Kreditversicherungen) beziehen, aber nicht mehr.
Kritik an diesem Vorgehen von NGO-Seite werde von den Finanzlobbyisten mit dem Ratschlag quittiert, sich "erst einmal auf den neuesten Stand zu bringen", so Pentzlin. Zudem werde in der EU die falsche Frage diskutiert: nämlich nur, ob Banken systemrelevant seien oder nicht, anstatt die Strukturen der Institute zu hinterfragen. So verführten Spar- und Investmentbank unter einem Dach dazu, mit den Ersparnissen der Menschen zu spekulieren.
Zumindest müssten die Expertengruppen inklusive Mitgliederlisten transparent veröffentlicht werden, fordert Alter-EU. Von der Industrie dominierte Gremien müssten aufgelöst werden. Ein Beispiel ist die Gruppe zur "Vereinfachung von grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen", in der 19 von 21 Mitgliedern von Barclays, Lloyds, ABN Amro, Merrill Lynch und Co kommen; die anderen beiden aus der EU-Kommission. Die EU-Kommission beruft sich bei Kritik stets darauf, das die Expertengruppen üblicherweise von den EU-Regierungen beschickt oder Konsultationen öffentlich ausgeschrieben werden. Entscheidend für die Auswahl der Experten sei das Fachwissen.
Faymann klagt ebenfalls
Auch Bundeskanzler Werner Faymann beklagte am Dienstag nach dem Ministerrat den Druck von Bank-Lobbyisten gegen eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte. Er kritisierte, dass 1500 Lobby-Organisationen des Finanzsektors in Europa nur 50 Organisationen aus den Bereichen Konsumentenschutz und Gewerkschaften gegenüberstünden. Außerdem würden manche Länder versuchen, Ausnahmen bei der Besteuerung und Regulierung des Finanzsektors zu erreichen, um sich damit Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.