Der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl gilt als Gegenbeweis dafür, dass die ÖVP nur am Land mehrheitsfähig sei: Bei den Gemeinderatswahlen 2003 wurde die Volkspartei erstmals in der einst "roten" Stadt stärkste Kraft. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem 42-Jährigen über sein Verständnis von Stadtpolitik, die diesbezüglichen Defizite der ÖVP und die generelle Finanznot, die den Spielraum der Städte bedrohlich einengt.
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Es gibt Situationen und Bedingungen, da verkehren sich Vorteile in Nachteile: "Die ÖVP war durch das Bünde-Denken einfach nicht geschlossen - das spüren die Menschen", erläutert Nagl ein strukturelles Problem der ÖVP im urbanen Raum. Als ein weiteres nennt er die Altersstruktur in vielen Stadtparteien, wenngleich er es positiv formuliert: "Gerade hier muss man jungen Menschen Vertrauen schenken." Der Geschäfstführer der Stadtpartei ist ein 21-jähriger Student.
Die strukturelle Finanzknappheit, unter der die Städte leiden, bekommt auch Graz schmerzhaft zu spüren: "Durch die dynamisch steigenden Ausgaben etwa im Gesundheitsbereich stehen wir unter enormem Rationalisierungsdruck", der längst "zu einem Verlust der Finanzhoheit" geführt habe. Verschärft werde dieses noch dadurch, dass "Rationalisierungserfolge der Stadt fast zur Gänze durch die Übertragung neuer Aufgaben aufgefressen" würden.
Pragmatisch sieht Nagl dagegen die vor allem von der EU vorangetriebene Debatte um die Organisation der Daseinsvorsorge - lediglich das Wasser will er auf keinen Fall aus der Hand geben. Auch beim Öffentlichen Verkehr sieht er keinen Bedarf für Liberalisierung, da "uns diesen ohnehin niemand aufgrund der großen Defizite aus der Hand nehmen will". Eine Absage an mehr marktwirtschaftliche Effizienz sei dies aber nicht. Auch im Bereich der Abfallwirtschaft müsse die letzte Verfügungsgewalt bei der Stadt verbleiben, wenngleich Public-Private-Partnership-Modelle sinnvoll seien.
Betont konservativ positioniert sich Nagl in der gesellschaftspolitischen Fragen: Er wehrt sich gegen das Bild vom "Polizisten als Überwachungstäter" und will Prävention und Repression gleich wichtig nehmen. Kritisch sieht Nagl auch den jüngsten Trend in Richtung Ganztagesschule: Das Versagen der Familie sieht er als "Keimzelle und Ursache für viele soziale Probleme an". Weshalb er einfordert, dass "wer Kinder hat, auch entsprechend Zeit für diese einplant", wenngleich es auch eines Alternativangebots bedürfe. Wenig hält Nagl auch von einer Gesamtschule der 10- bis 14-Jährigen. Er bekennt sich zu Gymnasium und Hauptschule - "man soll nicht die einen unter und die anderen überfordern."