Justizminister Brandstetter über das neue Erwachsenenschutzgesetz und die Reform des Maßnahmenvollzugs.
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Wien. Am Donnerstag hat der Nationalrat das Erwachsenenschutzrecht, das ab 1. Juli 2018 das Sachwalterrecht ablösen soll, einstimmig beschlossen. Kernstück ist ein abgestuftes Vier-Säulen-Modell, durch das künftig Sachwalterschaften alten Typs, die zu völliger Rechtlosigkeit der Besachwalteten führten, möglichst lange hintangehalten werden sollen. Im Interview erklärt Justizminister Wolfgang Brandstetter, wie er die Finanzierbarkeit der Reform doch noch sichergestellt hat und was sich ändern wird.
"Wiener Zeitung": Das Erwachsenenschutzgesetz ist am Donnerstag im Plenum beschlossen worden. Sind Sie erleichtert?Wolfgang Brandstetter: Doch, ich bin erleichtert und ich freue mich sehr darüber, weil das wirklich ein Paradigmenwechsel ist. Dass es eine große Reform ist, erkennt man schon daran, dass wir eine Testphase von mehreren Jahren hatten, in der wir die Möglichkeit des "Clearings" - also des genauen Abtestens, welche Art von Vertretung im Einzelfall wirklich notwendig ist - getestet haben. Das hat dazu geführt, dass die Zahl der Sachwalterschaften zuletzt stagnierte. In den zehn Jahren davor hatten wir eine Verdoppelung von 30.000 auf 60.000, was eine größere Kostenbelastung bedeutete. Es war höchste Zeit, diesen Trend umzukehren. Das Gesetz ist so ein Paradigmenwechsel, weil es den Blickwinkel umdreht: Bei der Sachwalterschaft stand die Erhaltung der Sicherheit im Geschäftsverkehr - auf Kosten der Betroffenen - im Vordergrund. Jetzt wird es darum gehen, was und in welchem Umfang der Betroffene wirklich an Unterstützung braucht.
Wie viele Vertretungen, die den Sachwalterschaften alten Typs entsprechen, gibt es in zehn Jahren?
Wir werden einen deutlichen Rückgang der Vertretungen haben. Es geht auch darum, eine neue Kultur zu etablieren, dass die Menschen rechtzeitig daran denken, die Selbstbestimmung für den Zeitraum wahrzunehmen, in dem sie das nicht mehr können. Wenn das gelingt, werden sich mehr Menschen zum Beispiel der Vorsorgevollmacht bedienen.
Ein Problem war die Finanzierung: Finanzminister Schelling hat das Gesetz im Herbst blockiert, weil die Kosten nicht budgetiert waren, im zweiten Entwurf sind die Kosten von 86 auf 24 Millionen Euro geschrumpft, wodurch Zweifel an der Umsetzbarkeit entstanden sind.
Die Kosten waren der einzige Punkt, der bisher kritisiert wurde. Vom Konzept dieser völligen Neuorientierung sind alle überzeugt. Ja, eine intensivere Betreuung in jeder Form kostet mehr Geld als rein formal agierende juristische Institutionen, die ohnehin vorhanden sind. Die Finanzierung ist insofern gesichert als wir nach wie vor über relativ hohe Rücklagen verfügen, derzeit sind das rund 160 Millionen Euro, deren Auflösung uns das Finanzministerium erforderlichenfalls bewilligt hat.
Bis zu welchem Punkt stehen diese Rücklagen für das Erwachsenenschutzrecht zur Verfügung?
Mit dem Finanzminister hat es immer wieder sachliche Diskussionen über unsere budgetären Notwendigkeiten gegeben. Ich verstehe den Finanzminister, wenn er sagt: "Lieber Justizminister, wenn du noch so hohe Rücklagen hast, brauchst du keine frischen Budgetmittel." Die Auflösung der Rücklagen war genehmigungspflichtig, weil sie maastrichtwirksam ist. Ich kann im erforderlichen Ausmaß auf diese Rücklagen zurückgreifen. Sie sind nicht zweckgebunden für dieses Gesetz, werden aber für die nächste und absehbare Zeit ausreichen.
Ab wann ist die Umsetzung des Gesetzes gefährdet?
Es ist nichts Neues, dass das Finanzministerium sicherstellen muss, dass in einem Ressort genügend Mittel für die Umsetzung eines Gesetzes zur Verfügung stehen. Das Erwachsenenschutzgesetz hängt nicht davon ab, ob wir Rücklagen haben oder nicht. Wenn der Nationalrat als Souverän beschließt, dass dieses Gesetz umgesetzt werden soll, dann wird es sicher auch immer finanziert werden können. Es war möglicherweise ein Grund für diese Diskussionen, dass wir am Beginn bei der ersten Kostenschätzung davon ausgegangen sind, dass es möglicherweise mehr Planstellen brauchen wird. Bei näherer Betrachtung hat sich gezeigt, dass die Belastung der Bezirksrichter im Durchschnitt derzeit ohnehin sinkt.
Es wird keine zusätzlichen Planstellen an den Gerichten geben?
Unmittelbar sind diese nicht unbedingt erforderlich. Im Gegenteil: Mit dem Mehrbedarf, der durch das Erwachsenenschutzgesetz entsteht, werden die Rückgänge bei der Auslastung kompensiert. Damit ist aber auch die Forderung nach einem Aufnahmestopp für Richter vom Tisch. Ursprünglich hatte ich auch die Absicht, die Möglichkeit einer zwangsweisen Verpflichtung von Notaren und Rechtsanwälten zur Übernahme von Sachwalterschaften zu beseitigen. Die Arbeit von den Notaren und Rechtsanwälten, die das machen müssen, ohne dass sie dafür ein spezielles Entgelt bekommen, auf die Erwachsenenschutzvereine zu übertragen, hätte aber wieder mehr gekostet. Auch hier hieß es aus dem Finanzministerium: Das hat bisher gut funktioniert, warum soll man das beseitigen, wenn es nur mehr Geld kostet? Das bleibt daher jetzt so wie bisher. Dafür gibt es aber eine Grenze: Ein Notar oder Rechtsanwalt muss maximal fünf Erwachsenenvertretungen ohne Entgelt übernehmen. Wenn jemand freiwillig mehr als 15 übernehmen will, weil er darauf spezialisiert ist, braucht es eine Zertifizierung der zuständigen Kammer.
Wird sich in der täglichen Praxis für Notare und Rechtsanwälte etwas ändern?
Das kommt darauf an, wie sie sich positionieren. Für die, die sich in dem Bereich besonders engagieren, wird sich nicht viel ändern. Die anderen werden nur hin und wieder Erwachsenenvertretungen übernehmen müssen, auch wenn sie sich nicht darum bemüht haben. Grundprinzip ist, dass eine Sachwalterschaft alten Typs vermieden wird, daher wird der Bedarf, Anwälte und Notare sozusagen "zwangsweise" zu verpflichten, tendenziell immer geringer werden.
Für die Erwachsenenschutzvereine wird es eine größere Umstellung. Schließlich müssen sie das "Clearing" verpflichtend übernehmen.
Ja, es wird für die Erwachsenenschutzvereine mehr Aufwand bedeuten, aber die machen da auch begeistert mit. Die haben die Reform von Anfang an mitgetragen. Es werden auch die Gerichte einen Mehraufwand haben, denn neben der gerichtlichen Kontrolle und der Überprüfung nach drei Jahren werden ja auch alle Fälle, die schon anhängig sind, überprüft.
Welche Gesetzesvorhaben planen Sie in dieser Legislaturperiode, wie lange auch immer sie noch dauern möge, noch?
Thomas Drozda und ich haben diese Woche darüber gesprochen, dass wir beim Mietrecht noch einiges umsetzen wollen, das ist aus meiner Sicht der letzte offene Punkt im ursprünglichen Regierungsprogramm, der zivilrechtlich in meinen Zuständigkeitsbereich fällt. Im Bereich der Geschworenengerichtsbarkeit möchte ich noch etwas erreichen, vor allem aber bei der Strafvollzugsreform. Da ist das Maßnahmenvollzugsgesetz noch offen. Das Gesetz ist in der Endabstimmung, ich möchte aber noch die Ergebnisse der Brunnenmarktkommission berücksichtigen. Damit im Zusammenhang steht auch die Frage der Standortoptimierung aller Justizanstalten in Österreich. Wir wollen eine strikte Trennung zwischen den psychisch beeinträchtigten Maßnahmepatienten und den anderen Straftätern umsetzen. Und die Frage ist auch: Welche Standorte machen noch Sinn, welche sind aus heutiger Sicht unsinnig geworden? Es gibt Justizanstalten, die rettungslos veraltet sind. Man muss auch rein ökonomisch schauen, dass das Gesamtsystem den heutigen Anforderungen entspricht. Daher habe ich eine Uni gebeten, sich diesen Fragestellungen zu widmen.
Sie haben auch externe Experten damit beauftragt, das Verbotsgesetz zu evaluieren.
Ja, da sind wir in Kontakt mit dem Max-Planck-Institut in Freiburg, der führenden Institution für Rechtsvergleichung in Europa. Wir sind aber noch dabei, die Fragestellungen zu erarbeiten gemeinsam mit jenen Institutionen, die sich hier beteiligen wollen.
Was kann hier herauskommen?
Es ist für mich eine offene Frage. Es gibt Bereiche, wo es wichtig ist, zu sehen, wie wir im internationalen Vergleich liegen. Die Probleme im Strafvollzugsbereich etwa haben ja alle. Beim Strafvollzug wird es schwierig werden, die nötigen Dinge durchzubringen. Je mehr Zeit wir haben, desto mehr an Reformen können wir umsetzen, desto lieber ist es mir.
Wie viel Zeit haben Sie noch?
Ich weiß es nicht, ich beschäftige mich nicht mit der Frage, ich will mich auf die anstehenden Reformvorhaben konzentrieren.
Es geht auch um Ihre Zukunft.
Das ist charmant, dass sie mich in meinem Alter nach meiner Zukunft fragen. Ich habe ein karenziertes Dienstverhältnis als Professor für Strafrecht an der Wirtschaftsuniversität. In dem Augenblick, in dem ich nicht mehr in der Regierung bin, muss ich dort wieder antreten. Ich freue mich, wenn ich meine Studierenden wieder sehe.
Zur Person
Wolfgang Brandstetter
ist seit Dezember 2013 unabhängiger Justizminister auf einem ÖVP-Ticket. Davor war der 59-Jährige Vorstand am Institut für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht an der WU und Strafverteidiger.