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Finanzkollaps noch nicht gebannt

Von Hermann Sileitsch

Politik

Greifen Kapitalverkehrskontrollen nicht, wäre Rettung umsonst gewesen.


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Nikosia/Frankfurt. Jetzt hängt alles daran, ob die Kapitalverkehrskontrollen greifen. "Eins ist klar: Wenn massenhaft Kapital in Milliardenhöhe abgezogen wird, dann hätte die Übung von Montagfrüh wenig Sinn gehabt", heißt es aus Notenbankerkreisen. Dann würde ungeachtet der Rettungsbemühungen der unkontrollierte Kollaps des Finanzsektors drohen. Heute, Dienstag, sollen Zyperns Banken nach dem Feiertag am Montag wieder aufsperren, hatte Arbeitsminister Harris Georgiades am Montagmorgen noch zuversichtlich angekündigt. Am Abend war das Makulatur: Zumindest die beiden Großbanken, die massiv umstrukturiert werden, bleiben bis mindestens Donnerstag zu. Laut der zypriotischen Zeitung "Kathimerini" wird in der Zentralbank "fieberhaft" an den Vorbereitungen gearbeitet. Dennoch gelang es nicht, alle Formalitäten bis Montagabend fertig zu haben. Eine möglichst rasche Normalisierung der Lage wäre wichtig, um den Wirtschaftsalltag auf der Insel wieder in Gang zu bringen. Je länger die Banken geschlossen haben, umso tiefer wird der Einbruch ausfallen.

Schon die gesamte Vorwoche über waren die Bankmitarbeiter in unfreiwilligen Urlaub geschickt worden, um einen Ansturm auf die Konten zu verhindern. Nun wird kein Betroffener mehr sein Geld retten können - Zypern muss strikte Kapitalverkehrskontrollen einführen. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang.

"Es wird sicherlich einen gewissen Druck auf die Einlagen geben, aber die Entscheidung der Eurogruppe bietet Stabilität für unser Banken-System", hatte Georgiades zu "Bild" gesagt. "Es wird einige temporäre Beschränkungen geben, wir müssen vor allem das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen."

Wie lange, darüber scheiden sich die Geister. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier, der kraft seines Amtes den freien Kapitalverkehr verteidigen muss, sprach von einigen Tagen. Realistischer ist wohl ein Zeitraum von einigen Wochen bis Monaten, sagen sogar seine eigenen Experten. Schließlich wird frühestens Ende Mai die erste Hilfskredittranche aus dem Euro-Rettungsfonds ESM nach Nikosia fließen. Erst dann wird das Vertrauen zurückkehren, dass eine Staatspleite abgewendet ist.

Hunderte Millionen Eurosind verschwunden

Konkret werden die Kapitalkontrollen wohl so ablaufen, dass Geldtransfers genehmigungspflichtig werden: Die Central Bank of Cyprus muss eine Freigabe erteilen. Das gilt nicht nur für die zwei Großbanken Laiki und Bank of Cyprus, die abgewickelt und umstrukturiert werden, sondern für alle Banken der Insel. Und das sind fast zwei Dutzend, davon der Großteil mit ausländischen Eigentümern. Bargeldbehebungen werden weiter nur bis zu einem Limit möglich sein - bei der Laiki-Bank war die Obergrenze zuletzt auf 100 Euro pro Tag gesenkt worden. Schlangen vor den Banken wird es also mit ziemlicher Sicherheit geben - das muss aber noch nichts Bedrohliches sein: Die Menschen müssen schlicht die Geldbörsen auffüllen.

Gemunkelt wird allerdings, dass trotz der Zahlungssperre hunderte Millionen Euro abgeflossen sein sollen. Die "Frankfurter Allgemeine" berichtete das unter Berufung auf Zahlungsverkehrsexperten: Sie sehen als deutliches Indiz, dass die Forderungen im Zahlungssystem der Euro-Notenbanken (Target-2) täglich um etwa 100 bis 200 Millionen Euro gestiegen seien.

"Ich würde schon vermuten, dass eine Menge noch außer Landes gegangen ist - und wohl auch Schwarzgeld", sagt Wifo-Finanzexperte Franz Hahn zur "Wiener Zeitung". Denn auch Anleger von Geld dubioser Herkunft halten sich im Normalfall an die Investorenregel, nie ihr ganzes Vermögen in einen einzigen Korb zu legen. Soll heißen: Schwarzgeld wird zumeist auf mehrere Offshore-Paradiese, Steueroasen und sichere Häfen verteilt - von der Schweiz über Singapur bis hin zu den Kanalinseln oder Gibraltar. Dorthin könnte einiges noch gefunden haben. Dass aber noch viel Geld der Großanleger auf den Konten liegen muss, zeigen deren signifikante Beiträge zur Rettung.

Die grassierende Sorge ist freilich, wie strikt die nationale Notenbank, die Central Bank of Cyprus, die Kapitalkontrollen vollstrecken wird. Weil Geldtransfer für "humanitäre Zwecke" weiterhin erlaubt bleiben, könnte diese Definition eher lax gehandhabt werden, um russischem Geld bei der Repatriierung zu helfen. Die Europäische Zentralbank würde dem aber wohl umgehend einen Riegel vorschieben, sagt Hahn. "Auch wenn ein zypriotisches Unternehmen mutmaßliche Scheinfirmen in Griechenland kaufen will, wird wohl genauer hingeschaut werden." So sehen das auch Notenbanker - schließlich gebe es eine begrenzte Zahl an Kanälen für den Zahlungsverkehr. Geldüberweiser wie Western Union würden von den Zahlungsschranken ebenfalls erfasst.

Österreich exportierte trotz der Devisenbewirtschaftung

Gerade auf einer Insel wie Zypern seien Kapitalkontrollen relativ einfach umzusetzen und zu administrieren. Hahn verweist darauf, dass auch in Österreich das Devisenbewirtschaftungsgesetz bis 1991 eine Genehmigungspflicht der Nationalbank vorgesehen hatte. Und dennoch gab es schon damals einen florierenden (wenn auch noch nicht ganz so großen) österreichischen Außenhandel.

Mit gemischten Gefühlen sieht man den EU-Rettungsdeal für Zypern in Russland. Präsident Wladimir Putin ordnete dennoch an, dass über eine Verlängerung und Zinsreduktion für einen Notfallkredit über 2,5 Milliarden Euro, den Zypern 2011 erhalten hatte, verhandelt werden soll.

In der Vorwoche waren die Zyprioten mit ihrem Bittgesuch abgeblitzt. Zugleich hatte Russland mehrmals sein Missfallen über das europäische Krisenmanagement ausgedrückt. Moskau ist es allerdings nicht unrecht, wenn russisches Steuergeld wieder ins Land zurückfließt oder dieses erst gar nicht verlässt.

"Was bereits einmal gestohlen wurde, wird nun noch einmal gestohlen", zitierten Nachrichtenagenturen hingegen Premier Dmitri Medwedew. Sein Stellvertreter Igor Schuwalow sagte, die Verluste für russische Investoren auf Zypern seien noch unklar.