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Finanzkrise: Aus den Superreichen wurden die ganz großen Verlierer

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Milliardär Oleg Deripaska wurde zum armen Mann. | Sechs Russen haben 131 Milliarden Dollar verloren. | Börsengemetzel trifft auch die US-Milliardäre hart. | Das war viel Pech auf einmal: Der russische Oligarch Oleg Deripaska hat im Vorjahr auf Grund der internationalen Finanzkrise praktisch sein gesamtes Vermögen verspielt. Der Mann, der noch vor einem Jahr als reichster Mann Russlands bewundert wurde, ist nun Pleitier. Von den 28 Mrd. Dollar, die er Anfang 2008 auf die Waage gebracht hat, sind lediglich etwas mehr als sieben Milliarden übrig geblieben. Wenn man Deripaskas derzeitigen Schuldenstand von rund 14 Milliarden berücksichtigt, ist der 40-jährige Finanzjongleur unterm Strich mit fast sieben Milliarden im Minus.


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Deripaska hat seine Expansion weitgehend auf Pump finanziert, erworbene Firmenbeteiligungen dienten als Sicherheit für weitere Kredite. Vor rund einem Jahr wollte er sich noch für 3 Mrd. Dollar (2,24 Mrd. Euro) den privaten Ölkonzern Russneft sichern, was schiefging, weil gegen dessen Inhaber Michail Gutseriyev Ermittlungen liefen und die Russneft-Aktien vom russischen Innenministerium beschlagnahmt wurden.

Der Machtkampf um das Metallkombinat Norilsk Nickel, bei dem der Oligarch Wladimir Potanin der große Gegenspieler war, bescherte Deripaska auch kein Glück: Im April erwarb er mit Hilfe eines internationalen Bankenkonsortiums die Sperrminorität, musste aber für den 4,5 Milliarden Dollar-Kredit die Aktien seines Aluminium-Imperiums verpfänden. Seit November sitzen staatliche Vertreter als Aufpasser an den Schalthebeln der Gruppe.

Zuvor hatten die dramatisch abgestürzten Aktienkurse Deripaska gezwungen, sich vom Autokonzern Magna und vom Baukonzern Hoch Tief zu trennen und für seine angeschlagene Sojus-Bank einen Käufer zu suchen. Die glanzvolle Karriere des einstigen Studienabbrechers, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Broker an der Warenbörse sein Glück versucht hatte und dank der Privatisierung von Staatsbetrieben einen persönlichen Höhenflug schaffte, dürfte sich vor dem Aus befinden.

Oligarchen: Kreditehöher als Vermögen

Deripaska, den es besonders arg erwischt hat, teilt sein Schicksal mit anderen Oligarchen. Laut einem in der Moskauer Tageszeitung "Iswestija" erschienenen Report sind die zuletzt sechs reichsten Russen innerhalb eines halben Jahres zusammen um die gigantische Summe von 131 Mrd. Dollar ärmer geworden. Waren in dem im März vom US-Magazin "Forbes" publizierten Ranking der weltweit 1000 reichsten Milliardäre noch 85 Russen vertreten, wird sich das bei der nächsten Rangliste wohl ändern.

Schlimm traf es den 52-jährigen Wladimir Lissin, der vom Arbeiter in einer Kohlemine zum Vizedirektor eines der größten sowjetischen Stahlunternehmens aufstieg. Heute gehören ihm rund 85 Prozent des Stahlkonzerns Novolipetsk, der in London einen Börsengang geschafft hat. Im Vorjahr verlor Lissin, der Anfang 2008 noch auf 22,2 Mrd. Dollar geschätzt wurde, beinahe alles: Jetzt beträgt sein Vermögen nur noch 3,1 Mrd. Dollar. Diesen stehen Kredite in Höhe von 3,3 Milliarden gegenüber.

Dem erst 43-jährigen Alexei Mordaschow, dem 82 Prozent des Stahlkonzerns Severstal sowie der russische Maschinenbaukonzern Silowyje gehören, erging es im Katastrophenjahr 2008 kaum besser: Die Kurse seiner Unternehmen sackten so dramatisch ab, dass Mordaschows Vermögen innerhalb eines Jahres von 22,1 auf 3,5 Mrd. Dollar schrumpfte.

Supervillen und Mega-Yachten noch aktuell

Wladimir Potanin, 48, einst Vizepremier der russischen Regierung und danach in wenigen Jahren zum Superreichen mutiert, musste ebenfalls einen Rückschlag einstecken: Er büßte rund 17 Mrd. Dollar ein, was primär auf den Kursabsturz seines 30-prozentigen Aktienpakets am Metallkombinat Norilsk Nickel zurückzuführen war. Der zuletzt mit einem Vermögen von 21,5 Mrd. Dollar fünftreichste Russe, dem die Finanzholding Interros zu 38 Prozent gehört, wird heute auf 4,4 Milliarden geschätzt.

Schließlich hat es auch Roman Abramowitsch, der kein Oligarch sein will, sondern sich eher in der Rolle eines britischen Businessman gefällt, brutal erwischt. Der 42-jährige Multimilliardär, der 2005 die sibirische Ölfirma Sibneft abgestoßen hatte, um sich den Londoner Fußballklub Chelsea zu kaufen, musste im Vorjahr 20 Mrd. Dollar in den Kamin schreiben. Dafür sorgte primär der Stahlkonzern Evraz Group, an dem er 36 Prozent hält: Das Unternehmen sackte auf 1,3 Mrd. Dollar, also auf ein Dreizehntel seines früheres Werts, ab. Zugleich schrumpfte das Vermögen seiner Millhouse-Group von 6,5 auf rund zwei Milliarden. Der nach Luxus süchtige Abramowitsch, der sich für 260 Millionen Euro die größte Yacht der Welt bauen lässt - die 167 Meter lange "Eclipse" hat sogar ein Raketenabwehrsystem an Bord -, ist laut "Iswestija" nur noch 3,3 Mrd. Dollar schwer. Sein Schuldenstand hält bei 2 Mrd. Dollar.

Im Gegensatz zu Abramowitsch, der den Chelsea-Kickern nun den Geldhahn zudreht, hat der Oligarch Michail Prochorow offenbar das drohende Finanzchaos gerochen und rechtzeitig reagiert: Der 43-Jährige, der schöne Frauen und das süße Leben liebt, musste zwar gewaltige Vermögenseinbußen hinnehmen, hat aber seinen 25 Prozent-Anteil an Norilsk Nickel noch bei gutem Wind um 5,2 Mrd. Dollar verkauft. Im Gegenzug legte er sich für 500 Millionen Euro eine exklusive Supervilla an der Cote d´Azur zu. Mit weiteren 500 Millionen will er eine marode Investmentbank wieder flott machen.

Die verarmten Oligarchen, die sich teilweise beim Staat um Hilfe anstellen, befinden sich in bester Gesellschaft. Auch in China ist die Party der Superreichen vorbei: Die 50 wohlhabendsten Chinesen hatten vor einem Jahr laut "Forbes" noch fast 50 Prozent mehr besessen als derzeit. Yang Huiyan, Boss der Country Garden Holdings, büßte 12,6 Mrd. Dollar ein - und damit seine Position als reichster der rund 100 Dollar-Milliardäre.

Milliardenverluste auch in China, Europa, USA

Auch der Mexikaner Carlos Slim, der mit 60 Mrd. Dollar Vermögen zu den reichsten Männern der Welt zählte, kam nicht ungeschoren davon. Für ihn sei die jetzige Finanzkrise die größte, die er je erlebt habe: "Sie ist komplizierter und tiefer als die große Depression von 1929", so Slim.

In Deutschland, schätzt das Magazin "Capital", verloren die 20 reichsten Familien, etwa die Quandts, mit ihren Beteiligungen an börsenotierten Konzernen mindestens 40 Mrd. Euro. Jene Clans, die Aktienportfolios an Henkel, Siemens oder Wacker halten, sollen wegen der Kursstürze besonders zu leiden gehabt haben. Der schwäbische Großindustrielle Adolf Merckle, dessen Firmengruppe in eine Notlage geraten war, wozu sich noch Fehlspekulationen mit VW-Aktien gesellten, hielt den Stress nicht aus: Er nahm sich Anfang Jänner das Leben.

Das Faktum, dass der Wert der 100 teuersten Unternehmen der Welt laut einer Studie von Ernst & Young im Vorjahr um 42 Prozent oder 6,7 Billionen Dollar gesunken ist, machte auch US-Multimilliardären zu schaffen. Der Großinvestor Kirk Kerkorian hat statt 11,3 derzeit nur noch 1,9 Mrd. Dollar auf der hohen Kante. Der 91-Jährige stieg kürzlich als Ford-Aktionär aus. Oder Steven Ballmer, der Bill Gates als Microsoft-Boss nachfolgte, wird neuerdings nur noch auf sieben statt wie zuvor auf zehn Milliarden geschätzt.

Auch der reichste Mann der Welt, der 78-jährige Warren Buffett, macht turbulente Zeiten durch: Der Boss des Mega-Konzerns Berkshire Hathaway ist seit Anfang 2008 am Papier um etwa sieben Milliarden ärmer geworden, weil die Börsen verrücktspielen.

Zur Person

Der in der Aluminiumbranche groß gewordene, für seine skrupellosen Geschäftsmethoden bekannte Oleg Deripaska hat sich in den letzten acht Jahren ein Industrie-Imperium unter den Nagel gerissen. Neben der weltgrößten Alu-Gruppe Rusal zählt die Beteiligungsholding Basic Element dazu. Diese hat die Kontrolle über den zweitgrößten Autoproduzenten Russlands, GAZ, erlangt und kaufte sich in stets aggressivem Stil in Unternehmen ein: etwa beim Flugzeughersteller Aviacor, dem zweitgrößten russischen Holzproduzenten Archangelsk Pulp and Paper Mill, der Versicherungsgesellschaft Ingosstrakh oder beim deutschen Bauriesen Hoch Tief. Im Frühjahr 2007 stieg Deripaska mit 30 Prozent beim heimischen Baukonzern Strabag ein und beteiligte sich am Autozulieferer Magna. Diese Beteiligung musste er im Vorjahr abstoßen.