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Finanzkrise eine Chance für China?

Von WZ-Korrespondentin Julia Koch

Politik

Geldreserven würden "Shopping-Tour" ermöglichen. | Peking/Singapur. Während die Verlierer der Finanzkrise feststehen, sind die Gewinner längst nicht so eindeutig. In internationalen Medien wird spekuliert, China könnte von der Krise profitieren. So argumentierte der Großinvestor George Soros, Chinas Reichtum werde dafür sorgen, dass den Chinesen künftig eine Menge mehr von der Welt gehören werde. Und das werde das Machtgefüge verändern. | Der indische Traum ist ausgeträumt


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"Die Krise ist eine große Chance für China", meint auch Finanzprofessor Stephen Cheung von der City University of Hong Kong. Schließlich sei es gerade günstig, sich im Westen einzukaufen.

Das Geld dafür hat China. So verfügt der Staatsfonds China Investment Corporation über 200 Milliarden von Chinas Reserven in Höhe von 1,85 Billion US-Dollar. Bereits Ende 2007 hatte er für fünf Milliarden US-Dollar Anteile an Morgan Stanley gekauft. Jetzt erhöhte er seinen Anteil an der Blackstone Group auf mehr als zehn Prozent. Zudem rekrutiert er Top-Banker in den USA. Auch die Bank of China soll sich an der Wall Street umschauen.

Andere Experten bezweifeln aber, dass die Chinesen jetzt tatsächlich auf Shopping-Tour gehen. "Sie werden erst mal abwarten", meint Joseph Yu-shek Cheng, Politikprofessor an der City University of Hong Kong. Auch Venkatraman Anantha-Nageswaran, Chief Investment Officer für Asien-Pazifik der Bank Julius Bär, ist skeptisch: "In der Vergangenheit waren die Engagements der Chinesen im Ausland nicht sonderlich erfolgreich."

Das lag aber auch am Westen, gibt Professor Cheung zu bedenken: "Bisher waren westliche Politiker dagegen, dass sich Chinesen bei westlichen Firmen engagieren. Diese Einstellung sollte und wird sich nun ändern." Im Gegenteil, sagt Dr. Karsten Giese vom GIGA Institut für Asien-Studien in Hamburg: "Ich glaube nicht, dass die Chinesen als Investoren willkommener sind. Die Vorbehalte werden noch stärker sein."

Machtverschiebung?

Dafür sieht Giese eine andere Chance für China: "Es gibt mit ziemlicher Sicherheit eine Machtverschiebung in den internationalen Finanzgremien hin zu China. Es zeichnet sich schon seit zwei Jahren ab, dass die Chinesen da stärker Einfluss nehmen wollen." Die Finanzkrise verstärke diesen Trend. Überhaupt werde China mit seinem gewachsenen Selbstbewusstsein außenpolitisch künftig stärker auftreten. "Aber das wird im Stillen und auf diplomatischem Wege stattfinden."

Auch Politikprofessor Cheng glaubt, dass sich das Machtgefüge verschiebt. "Die Finanzkrise führt zu einem Machtverlust der USA. Und eine multipolare Welt ist im Interesse von China."

Ob China aus der Finanzkrise wirklich als Gewinner hervorgeht, ist allerdings fraglich. Bisher jedenfalls hat es dadurch nur Verluste erlitten. "Die Volkswirtschaften sind stark verflochten. Wenn die USA und Europa leiden, leidet auch China", sagt Cheng. So folgten auch die chinesischen Börsen dem Abwärtstrend des Dow Jones: Sowohl der Hang Seng Index in Hong Kong als auch der Shanghai Composite und der kleinere Shenzhen Component sind stark gefallen. "Wegen der Verluste in den USA ziehen die Investoren Geld aus China ab", erklärt Anantha-Nageswaran von Julius Bär.

Einzelne Unternehmen sind auch direkt betroffen: Bis zu 721 Millionen US-Dollar könnten sieben chinesische Banken durch die Pleite von Lehman Brothers verloren haben. Außerdem ist Lehman Brothers seinerseits an diversen chinesischen Unternehmen beteiligt. Anleger befürchten, dass deren Aktien einbrechen, sobald die Anteile verkauft werden.

Dass Chinas Verluste nicht schlimmer sind, liegt daran, dass der chinesische Finanzsektor noch recht abgeschottet ist und die chinesischen Banken gerade erst angefangen haben, im Ausland zu investieren.

Export bricht ein

Die Hauptsorge der Chinesen ist zurzeit, dass der Export einbricht. Die USA sind Chinas wichtigster Absatzmarkt, und dort wird voraussichtlich der Konsum nachlassen. Zwei chinesische Spielzeugfabriken haben bereits dichtgemacht wegen der Finanzkrise. 7000 Arbeiter stehen jetzt auf der Straße. Die Analysten sind sich einig, dass China künftig mehr auf den Binnenmarkt setzen muss. Aber noch habe es diese Lektion nicht gelernt, sagt Anantha-Nageswaran: "China ist wie ein großes Schiff. Bevor es die Richtung ändern kann, muss es langsamer werden." Statt zweistelligem Wirtschaftswachstum wird in China im kommeden Jahr nur noch mit etwa acht Prozent gerechnet.

In jedem Fall denken die Chinesen darüber nach, was sie aus der Finanzkrise lernen können. Zhuang Jian von der Asian Development Bank in Peking sagt: "Generell wollten sie dem Modell USA folgen, aber das überlegen sie sich jetzt zweimal."

Chinas Exporte

(gf) Im dritten Quartal 2008 ist Chinas Wirtschaft nur noch um 9 Prozent gewachsen, das sind 1,1 Prozent weniger als im Vierteljahr davor. Dazu haben die Olympischen Sommerspiele ihr Teil beigetragen, weil die luftverschmutzende Industrie zum Teil stillgelegt wurde. Noch deutlicher macht sich aber der Rückgang bei den Exporten bemerkbar. In den ersten neun Monaten sorgten die Nettoexporte für 12,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - das waren 8,9 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2007.

Betroffen sind Textilien, Möbel, Spielzeug, Haushaltsgeräte, aber auch die bisher boomende Unterhaltungselektronik. Zum Teil können diese Rückgänge durch die gesteigerte Nachfrage im Inland aufgefangen werden. Denn die gestiegenen Löhne verteuern zwar die Exporte, bescheren den Chinesen aber gleichzeitig mehr Kaufkraft. Zudem hat sich die Inflation von 8,7 Prozent im Februar auf 4,6 Prozent im September verringert.