"Mehr Experten als EU-Beamte" involviert. | Lobbyisten haben erheblichen Einfluss auf EU-Gesetze. | Brüssel. Der Vorwurf ist nicht ganz neu: Der Inhalt von EU-Gesetzesvorschlägen werde durch wenig transparente Expertengruppen maßgeblich mitgeformt, heißt es. Doch wie stark der Überhang der Wirtschaft in solchen Beratungsgremien offenbar sein kann, illustriert eine am Donnerstag vorgestellte Studie von Alter-EU, einer Lobbying-Transparenz-Plattform in Brüssel: Just jene Leute, welche die Finanzkrise durch ihre Fehleinschätzungen verursacht haben, werden jetzt bei der Neuordnung der Finanzmärkte vorwiegend als Experten herangezogen, lautet der Kernvorwurf.
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Von den rund 1000 EU-Expertengruppen, die unregelmäßig tagen, seien 19 unmittelbar mit dem Finanzsektor beschäftigt, findet die Studie. 80 Prozent der externen Berater komme aus Finanzinstituten oder einschlägigen Branchenverbänden. Diese 229 Experten seien sogar mehr als die 150 EU-Beamten, welche sich in der zuständigen Generaldirektion Binnenmarkt der EU-Kommission mit der Finanzmarktreform beschäftigten.
Kritische Akteurefallen unter den Tisch
Es sei zwar richtig, dass die Expertenkomitees bloß beratenden Charakter hätten, räumt Daniel Pentzlin von Friends of the Earth Europe ein, die zur Alter-EU-Plattform gehören. Doch habe sich gezeigt, dass ein "erheblicher Einfluss" der Empfehlungen auf die Gesetzesvorschläge bestehe. Schon das Verhältnis der Zahlen von Beratern und EU-Beamten lasse solche Rückschlüsse zu. Zudem gebe es keine klare Regelung, wie die Gruppenmitglieder ausgewählt würden. Auffällig sei, dass die Zivilgesellschaft und kritische Akteure kaum vorkommen, so Pentzlin.
Als ein Beispiel von vielen nennt die Studie die Gruppe zur "Vereinfachung von grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen": 19 von 21 Mitgliedern komme aus dem Finanzsektor darunter Leute von Barclays, Lloyds, ABN Amro und Merrill Lynch; die anderen beiden aus der EU-Kommission. Ein aktuelles Opfer drohe etwa die Richtlinie zur Regulierung von Hedgefonds zu werden, von der inhaltlich kaum etwas übrig bleiben könnte. Daher verlangt Alter-EU die transparente Veröffentlichung aller Expertengruppen und ihrer Mitglieder. Gruppen die von der Industrie kontrolliert würden, müssten aufgelöst werden.
Eine überzeugende Entkräftung der Vorwürfe war von der EU-Kommission vorerst nicht zu bekommen. "Wir müssen uns diese Zahlen genau anschauen", sagte Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde Hansen. "In den Gruppen versuchen wir natürlich immer, eine ausgewogene Vertretung sicherzustellen."
Entscheidend für die Auswahl der Experten sei ihr Fachwissen in den jeweiligen Bereichen. Expertengruppen würden üblicherweise von den Regierungen der Mitgliedsstaaten beschickt oder Konsultationen öffentlich ausgeschrieben.