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Finanzspritze statt Zinsschraube: Und wie geht es weiter, Monsieur Trichet?

Von Petra Medek

Analysen

Kräftig ins Schwitzen kommen derzeit nicht nur die Olympioniken. Auch der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, hat schon entspanntere Zeiten erlebt. Sein Balanceakt zwischen Teuerungsbekämpfung und Konjunkturbelebung ist ein Kraftakt und ein Kunststück zugleich. Kippen die Notenbanker in die eine Richtung, droht eine Explosion der Inflation und damit auch eine Lohn-Preis-Spirale. Kippen sie in die andere, droht Europa vielleicht sogar eine Rezession.


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Beinahe täglich mehren sich die Hiobsbotschaften aus der europäischen Wirtschaft, und mittendrin, im scheußlich nüchternen, gläsernen Turm der EZB, sitzt Trichet an der Zinsschraube. Die hohe Inflation spricht für eine Zinserhöhung, die schwächelnde Wirtschaft für eine Senkung. Mitten in der Finanzkrise und am Beginn eines Abschwungs - der nun deutlicher ausfällt als von den Zentralbankern prognostiziert - sind jetzt alle Augen auf den Notenbankchef gerichtet.

Viel Lob ist zu hören für den Währungshüter, aber in jüngster Zeit noch mehr Kritik aus Wirtschaft und Politik. Die gegenwärtige Inflation sei Ergebnis der Explosion der Rohstoffe. "Man wird mir doch nicht erzählen wollen, dass man die Zinsen erhöhen muss, um gegen die Inflation zu kämpfen?", wetterte zuletzt Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy.

Doch Trichet bleibt unbeirrt von solchen Zurufen auf seinem Kurs, der da lautet: Preisstabilität geht vor.

Immer wieder hat die EZB in der letzten Zeit Finanzspritzen gewährt, damit genügend Liquidität auf den von der Finanzkrise gebeutelten Märkten vorhanden ist. Diese Hilfsmittel wirkten zwar vielleicht nicht inflationstreibend, waren jedoch nur kurzfristig. Auch am Donnerstag hat die EZB den Leitzins unverändert gelassen.

Der Grund: Die Inflationsrisiken, vor allem die hohen Rohstoffpreise, liegen Trichet zwar nach wie vor schwer im Magen. Vom Ziel der Zentralbanker, die Inflation in Höhe von zwei Prozent zu halten, ist die Eurozone mit 4,1 Prozent meilenweit entfernt. Und eine Entspannung scheint nicht in Sicht.

Doch Trichets Auftritt bei der traditionellen Pressekonferenz im Anschluss an die Zinssitzung machte ganz deutlich, in welcher Zwickmühle die EZB steckt. Experten waren überrascht davon, wie pessimistisch sich der Notenbankchef anhörte, als er über die Konjunktur sprach. Er hat erstmals zugegeben, dass sich das Wachstum in Europa rascher eingebremst hat als von der EZB vorausgesagt.

Damit scheint einer Anhebung des Leitzinses ein Riegel vorgeschoben. Jetzt brauchen die Notenbanker Geschick und Voraussicht - und nicht zuletzt Glück. Ganz Europa wünscht ihm das.