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Premier Erdogan kandidiert nicht. | Gegner wollen demonstrieren. | Istanbul. (apa) Hayrünissa Gül schreibt Geschichte. Die Ehefrau des derzeitigen türkischen Außenministers wird voraussichtlich ab Mitte Mai die erste First Lady ihres Landes sein, die ein Kopftuch trägt: Ihr Ehemann Abdullah Gül wurde am Dienstag von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan als Präsidentschaftskandidat nominiert.
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Der Gegensatz zwischen den Güls und dem scheidenden Amtsinhaber Ahmet Necdet Sezer könnte nicht größer sein. Sezer hatte sich während der vergangenen Jahre strikt alle Kopftücher im Präsidentenpalast verbeten - jetzt trägt die neue Hausherrin selbst eines. Für die Türkei beginnt eine neue Ära.
Über Wochen hatte Erdogan den Namen seines Präsidentschaftsfavoriten geheim gehalten. Spekulationen, der Premier selbst könnte bei der Wahl durch das Parlament nach dem höchsten Staatsamt greifen, hatten heftigen Widerstand der Armee und anderer strikt anti-islamistischer Kräfte hervorgerufen. Selbst viele seiner eigenen Anhänger waren gegen eine Präsidentschaft Erdogans, weil sie in diesem Fall eine Destabilisierung der Wirtschaft und der innenpolitischen Lage befürchteten.
Erleichterung bei AKP
Als Erdogan am Dienstag in der Parlamentsfraktion seiner Regierungspartei AKP in Ankara endlich das Geheimnis lüftete, herrschte deshalb nicht nur im Fraktionssaal Erleichterung. "Ich bin froh, dass er es nicht selbst macht", sagte ein Arbeiter in der türkischen Metropole Istanbul. "Als Ministerpräsident ist er am richtigen Platz." Auch der mächtige Industrieverband Tüsiad richtete seinen ersten Glückwunsch nicht an den designierten Präsidenten Gül, sondern an Erdogan, der sich mit seinem Verzicht auf die Kandidatur für die Stabilität des Landes entschieden habe.
Im Gegensatz zu Erdogan, der als Polarisierer gilt, ist Gül für seine ruhige Art und sein freundliches Lächeln bekannt. Als Außenminister, der den Europa-Kurs der Türkei entscheidend mitbestimmt hat, wird Gül selbst von seinen politischen Gegnern respektiert. Zudem ist Gül einer der mächtigsten Männer in der AKP und keinesfalls ein willenloser Erfüllungsgehilfe Erdogans.
Dennoch wurde bereits wenige Minuten nach Bekanntgabe von Güls Kandidatur deutlich, dass der Präsident in spe nicht parteiübergreifend auf Zustimmung stößt und dass die innenpolitischen Spannungen in der Türkei wegen der Präsidentenfrage keineswegs ausgestanden sind. Die Oppositionspartei CHP erneuerte ihre Drohung, das Verfassungsgericht anzurufen, falls beim ersten Wahlgang an diesem Freitag nicht mindestens 367 Abgeordnete im Plenum sein sollten - durch einen geschlossenen Boykott der Sitzung will sie dafür sorgen, dass es weniger sind.
Entscheiden Gerichte?
Erdogans AKP hat selbst nur 354 Abgeordnete, wäre also auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen. Es ist deshalb nicht völlig auszuschließen, dass die Wahl des elften Staatspräsidenten der türkischen Republik von den Gerichten statt vom Parlament entschieden wird.
Sollte Gül trotz aller absehbaren Widrigkeiten am 16. Mai sein neues Amt im Präsidentenpalast im Ankaraner Stadtteil Cankaya antreten, werden die Europäer bald die Veränderungen in der Türkei bemerken. Erdogan kündigte schon an, dass der neue Staatspräsident wesentlich mehr ins Ausland reisen werde als Präsident Sezer. Wenn Gül als Präsident im Ausland die Werbetrommel für sein Land rühren will, ist er sicher eine gute Wahl: Gül wird in Europa respektiert.
Die anti-islamistischen Teile der eigenen Bevölkerung auf seine Seite zu bringen, wird Gül wesentlich schwerer fallen, nicht zuletzt wegen des Kopftuchs seiner Frau. Der designierte Präsident will sich schon bald mit Vertretern anderer Parteien treffen, doch es ist zweifelhaft, dass er in diesen Gesprächen viele neue Freunde gewinnen wird.
Die türkischen Medien erinnerten ihre Zuschauer am Dienstag daran, dass Hayrünissa Gül vor einigen Jahren gegen den türkischen Staat prozessierte, weil sie mit ihrem Kopftuch nicht in der Türkei studieren durfte. Frau Gül zog die Klage vor dem Europäischen Menschrechtsgerichtshof zurück, als ihr Mann nach dem Wahlsieg der AKP im November 2002 vorübergehend Ministerpräsident wurde. Sie habe vor Gericht schließlich nicht gegen ihren Ehemann, sondern gegen den türkischen Staat gekämpft, erklärte Frau Gül damals.
Für das kommende Wochenende haben die Gegner Erdogans und seiner AK-Partei zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen zu einer Großkundgebung aufgerufen. Gül steht vor einer schwierigen Aufgabe, wenn er als Präsident versuchen will, die tiefen Gräben innerhalb der türkischen Gesellschaft zu überbrücken.
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