Zum Hauptinhalt springen

FISCHER Heinz: Parlamentarismus im Aufwärtstrend

Von Alexandra Grass

Politik

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Herr Dr. Fischer, wie lautet Ihr Resümee rückblickend auf die vergangene Legislaturperiode?

"Es ist natürlich schwer, Zeugnisse aufzustellen, wenn ein Wahlresultat vorliegt. Manches ist offenbar von den Wählern kritisch beurteilt worden, aber der Parlamentarismus hat sich auch in der

vergangenen Legislaturperiode in Österreich als stabil und arbeitsfähig erwiesen.

Wir haben eine große Steuerreform gemacht, wir haben die Schritte zur Einführung des Euro gesetzt, wir haben unsere Kooperation im Bereich der Europäischen Union vertieft, wir haben auch Fortschritte

erzielt im Eherecht oder überhaupt im Bereich der Justizgesetzgebung, der Sozialgesetzgebung. Das alles soll nicht unerwähnt bleiben und negative Gesichtspunkte zu betonen, ist vielleicht Sache

anderer Parlamentarier mit anderen Funktionen."

Der Vorwurf der Opposition, das Parlament sei nur mehr eine Abstimmungsmaschine, wurde durch die Wahl am 3. Oktober entkräftet. Die Zwei-Drittel-Mehrheit wurde gebrochen. Was bedeutet dies für

die Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung sowie die Arbeit der künftigen Oppositionsparteien?

"Also erstens habe ich diesen Vorwurf, das Parlament sei jetzt nur mehr eine Abstimmungsmaschine, ja nicht nur in der vergangenen Legislaturperiode, sondern auch in der vorvergangenen und in der

vorvorvergangenen und in der vorvorvorvergangenen gehört. Das ist ein Vorwurf, der permanent in den letzten 50 Jahren erhoben wurde als Kritik an der Tatsache, dass die beiden größten

Parteien miteinander kooperiert haben in Regierung und Parlament.

Ich glaube, dass der Vorwurf, das Parlament sei eine bloße Abstimmungsmaschine, immer falsch war, oder immer nicht die ganze Wahrheit war und dass der österreichische Nationalrat auf die wichtigen

gesetzgeberischen Entscheidungen immer einen beträchtlichen Einfluss gehabt hat · ob das die Strafrechtsreform war, ob das die Universitätsreform war, ob das die Familienrechtsreform war, ob das die

Sozialgesetze waren · es hat immer einen wichtigen Anteil des Nationalrats an der Gesetzgebung gegeben, verbunden mit der Tatsache, dass wichtige Vorbereitungsschritte für die Gesetzgebung in

Österreich, so wie auch in Deutschland und so wie auch in Großbritannien und so wie auch in Frankreich und so wie in allen anderen Demokratien von der jeweiligen Regierung geleistet werden.

Man darf den Parlamentarismus meines Erachtens nicht so verstehen, dass ein funktionierender Parlamentarismus nur darin besteht, oder das Ziel eines funktionierenden Parlamentarismus darin bestünde,

einen eisernen Vorhang zwischen Regierung und Parlament zu legen. Sondern das Parlament muss seinen Stellenwert, muss seine Selbständigkeit haben, muss aber auch Kooperationsfähigkeit mit der

Regierung haben. Das sind Überlegungen, die ich in dem Zusammenhang anstelle.

Richtig ist, dass in Zukunft wahrscheinlich die Rolle des Nationalrats noch größer werden wird, wenn wir die Chancen nützen, die sich heute bieten. Ich glaube, dass aus den ersten Stellungnahmen

verschiedener Parlamentarier erkennbar war, dass die Absicht besteht, die Chancen zu nützen, die sich heute im November 1999 für die parlamentarische Arbeit dieser eben neu begonnenen

Gesetzgebungsperiode bieten."

Je nach Koalitionsbildung werden künftig mitunter Stimmen von bis zu vier Parteien benötigt, um Verfassungsgesetze verabschieden zu können. Welche Schwierigkeiten sehen Sie darin?

"Verfassungsgesetze können nur beschlossen werden, wenn erstens die SPÖ zustimmt, denn ohne die SPÖ · gegen die SPÖ · gibt es keine Verfassungsmehrheit, und zwei weitere Parteien zustimmen. Das

wird voraussichtlich zur Folge haben, dass die Zahl der Verfassungsbestimmungen tendenziell rückläufig sein wird und es wird zur Folge haben, dass es immer wieder Themen geben wird, wo über die

Grenzen zwischen Regierung und Opposition hinaus Verhandlungen um gemeinsame Lösungen stattfinden werden.

Ich füge hinzu, dass es zwischen 1966 und 1970 eine ÖVP-Regierung und zwischen 1970 und 1983 eine SPÖ-Regierung gegeben hat, die auch über keine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt hat, und dennoch der

Parlamentarismus funktioniert hat. Es ist also nicht eine völlig neue Situation, die heute gegeben ist, wo die Regierung nicht über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt. Es hat immer wieder Phasen in

der Geschichte des österreichischen Parlamentarismus gegeben, wo die Regierung über keine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt hat und sich entsprechend bemühen musste."

Was bedeutet das Ausscheiden des LiF und damit die Reduktion auf ein Vier-Parteien-Parlament für den österreichischen Parlamentarismus?

"Ich glaube die Liberalen waren bemüht, eine konstruktive Rolle im österreichischen Parlamentarismus zu spielen und auch Beiträge zur politischen Kultur in Österreich zu leisten. Das habe ich dem

Liberalen Forum immer sehr positiv angerechnet. Und auf diese Feststellung möchte ich nicht verzichten.

Auf der anderen Seite gibt es keine Regel, die sagt, ein Vier-Parteien-Parlament ist besser als ein Drei-Parteien-Parlament und ein Fünf-Parteien-Parlament ist besser als ein Vier-Parteien-

Parlament und ein Sechs-Parteien-Parlament ist besser als ein Fünf-Parteien-Parlament. Es ist nicht so, dass man sagen kann, je mehr Parteien in einem Parlament umso besser. Das ist keineswegs der

Fall. Aber es ist wahr, dass durch den Ausfall des LiF eine ganz spezielle, leise, aber wichtige Stimme im politischen Konzert jetzt nicht mehr vorhanden ist."

Was halten Sie von der Wahl Thomas Prinzhorns zum Zweiten Nationalratspräsidenten?

"Prinzipiell kann ich nur sagen, dass damit eine Gepflogenheit beibehalten wurde, die darin besteht, dass ein Vertreter der zweitstärksten Fraktion auch im Präsidium des Nationalrats als Zweiter

Präsident tätig sein soll.

Dass die Abgeordneten unterschiedliche Meinungen zu der Frage gehabt haben, ob Thomas Prinzhorn für diese Funktion geeignet ist, ergibt sich aus dem Wahlresultat. Eine darüber hinausgehende

Kommentierung einer vom Nationalrat in geheimer Wahl getroffenen Entscheidung scheint mir nicht notwendig zu sein."

Glauben Sie an eine Regierungsbildung noch in diesem Jahr, oder wird es angesichts der noch ohne wirklichen Ergebnisse verlaufenden Gespräche zwischen den Parteichefs vorgezogene Neuwahlen geben?

"Da wir uns jetzt schon im November befinden, halte ich einen Abschluss der Regierungsverhandlungen im heurigen Jahr zwar nicht für theoretisch unmöglich, aber für praktisch nicht sehr

wahrscheinlich.

Und an Neuwahlen denkt im Augenblick niemand und es gibt auch keinen Anlass, an Neuwahlen zu denken. Ich glaube, dass wenn man Neuwahlen durchführen würde, das Resultat sehr ähnlich sein würde und

damit durch Neuwahlen keine Probleme gelöst würden."

Welche Projekte sollen in der