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Erster deutscher Außenminister aus dem grünen Lager. | Dramatische Jahre vom Kosovo-Krieg zum 11. September. | Als ihm der Herr Bundespräsident die Bestellungsurkunde überreichte, wusste der Autor für einen Sekundebruchteil nicht so recht, wie ihm geschah: "Irgendwie verrückt, unfassbar eigentlich, und obwohl ich mich selbst für einen großen Realisten hielt, hatte ich in diesem Moment einige innere Zweifel daran zu überwinden, ob ich wirklich wach war oder am Ende nur träumte. Es kam jedoch niemand, der mich wachrüttelte ..."
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Auch wenn es ein wenig so klingen mag - nicht der amtierende österreichische Bundeskanzler beschreibt hier auf menschlich nachvollziehbare Weise, was ihm bei seiner Angelobung so durch den Kopf gegangen sein mag, sondern der ehemalige deutsche Außenminister Joseph "Joschka" Fischer. Die Rede ist von der Angelobung des ersten Kabinetts Schröder am 27. Oktober 1998, von Fischer notiert im soeben erschienenen ersten Band seiner Memoiren mit dem Titel "Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik vom Kosovo bis zum 11. September".
Wie eine spannende "Spiegel"-Titelstory
Es ist ein vom Autor nicht zu verantwortender Mangel, dass es diesem Buch an jener rein zeitlichen Distanz zum Geschehen mangelt, die eine wirklich historische Einordnung der Ereignisse erst möglich macht. (Auch Joachim Fests legendäre "Hitler"-Biografie hätte ja so im Jahre 1947 nicht geschrieben werden können.) Stattdessen ist Fischers Text noch mit heißer Nadel der zeitlichen Nähe verfasst, was ihm eine journalistische Qualität im guten Sinne des Wortes gibt; passagenweise liest sich das Ergebnis daher auch wie eine gut recherchierte und geschriebene "Spiegel"-Titelgeschichte.
Dass der Ex-Außenminister diesen ersten Memoirenband auf die Zeit zwischen dem Kosovo-Krieg und den Anschlägen vom 11. September 2001 beschränkt, mag als eine Hommage an das "Kurze 20. Jahrhundert (von 1914-1989)" des marxistischen britischen Historikers Eric Hobsbawm verstanden werden; Sinn macht diese Abgrenzung durchaus.
Denn es war ja "die Frage von Krieg und Frieden", die zwar ganz Deutschland, aber natürlich in einem besonders hohem Ausmaß die Sozialdemokratie und noch mehr die Grünen in eine existentielle, schwierige und schmerzhafte Auseinandersetzung mit sich selbst führte. Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik stellte das Morden des Milosevic-Regimes im damaligen Jugoslawien Schröder, Fischer und die anderen Entscheidungsträger vor ein schmerzliches Dilemma: Das Dogma "Nie wieder Auschwitz" kollidierte mit dem Dogma "Nie wieder Krieg"; wer ersteres hochhalten wollte, musste letzteres opfern.
Es wird wohl ein historisches und bleibendes Verdienst von Schröder und Fischer bleiben - trotz vieler und auch gravierender Fehler, die sie begangen haben -, dass sie in dieser für sie reichlich ungemütlichen Situation richtig entschieden haben und in den Krieg gezogen sind, erst gegen den ethnischen Säuberer in Belgrad und später gegen Bin Laden und die Taliban.
Der Preis, den Realo Fischer dafür zu entrichten hatte, war eine zunehmende Entfremdung von der eigenen Grünen Partei, in der nach wie vor linke Basis-Pazifisten nicht verstehen wollten, dass jene beiden Dogmen in der Post-1989-Welt nicht mehr miteinander kompatibel waren.
Ein Konflikt, der in jenem legendären Bielefelder Parteitag der Grünen kulminierte. Fischer: "Die Atmosphäre in der Halle war extrem aufgeladen, ja hasserfüllt. Ich wurde von meinem Sicherheitskommando durch einen Hintereingang in die Halle gebracht, so dass ich mit den Gegendemonstranten - eine bizarre Mischung aus radikalen Linken, Autonomen und und zahlreichen serbischen Anhängern Milosevic - nicht in Berührung kam."
Es war jener Parteitag, als ein wuchtiger Farbbeutel den Minister schwer beschmutzte und leicht verletzte, und jener, an dem er wohl schon innerlich Abschied nahm von der Partei: "Ich wollte weg, so schnell wie möglich weit weg ..."
EU-Sanktionen hatten "auch in Wien" Urheber
Kurz streift Fischer übrigens auch die Zeit der Sanktionen gegen Österreich (bezeichnender Weise das einzige Mal im ganzen Buch, dass Österreich überhaupt erwähnt wird). Nicht "eine Verschwörung der österreichischen mit der europäischen Linken" habe die Sanktionen bewirkt, meint er, sondern eher "ein fundamentaler Werte- und Machtkonflikt innerhalb der europäischen Konservativen" über die Frage der Öffnung nach Rechtsaußen. Trotzdem bleibt ein wenig rätselhaft, was Fischer meint, wenn er schreibt: "Auch in Wien waren sehr wichtige Leute der Meinung, dass die EU nicht untätig bleiben dürfte." Welche wichtigen Leute waren damals wie der Meinung, dass die EU "tätig werden" möge? Eine Frage, die leider diskret unbeantwortet bleibt. Zumindest indirekt gesteht Fischer jedoch ein, dass die Sanktionen nicht gerade der Weisheit letzter Schluss gewesen sind: "Aus heutiger Sicht darf man wohl zu recht annehmen, dass die EU nach den unerfreulichen Erfahrungen in der Causa Austria dieses Verfahren nicht wiederholen wird ..."
Wer übrigens schon immer wissen wollte, wie sich die Berliner Regierung am 11. September 2001 über den Ablauf der Anschläge auf den amerikanischen Verbündeten auf dem Laufenden hielt, erfährt das ganz am Schluss des Buches. Nicht eine supergeheime Standleitung des Kanzlers ins Weiße Haus, kein Satellitenlink zwischen Außenamt und State Departement informierte Schröder & Co - sondern das Fernsehen. Sein ganzes Büro, berichtet Fischer, habe sich an diesem historischen Tag vor der Glotze versammelt. "Um 15.20 sprach ich telefonisch kurz mit dem Verteidigungsminister, aber auch er hatte keine weiteren Erkenntnisse. Und um 15.25 telefonierte ich mit dem Bundeskanzler. Auch er verfolgte die schrecklichen Ereignisse in den USA ... am Fernsehschirm."
So banal kann Regieren in schwerer Stunde sein.
Sehr lesenswert.Joschka Fischer: Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik - vom Kosovo bis zum 11. September. Kiepenheuer & Witsch, 448 Seiten, 23, 60 Euro