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Fischers Europa-Vision löst Wirbel aus

Von Christian Böhmer

Politik

Brüssel - Die Ideen des deutschen Außenministers Joschka Fischer über eine verstärkte Zusammenarbeit von europäischen Kernstaaten als "Gravitationszentrum" haben auf dem EU-Parkett beträchtlichen Wirbel ausgelöst. London äußerte sich mit deutlicher Skepsis. Lob kam hingegen von Fischers Amtskollegen in Frankreich und Belgien.


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Die Spannweite der ersten Reaktionen auf Fischers Grundsatzrede in der Berliner Humboldt-Universität zeigt: Es geht um ein heißes Eisen in der EU.

Fischer hatte betont, die Akzeptanz und Beschlussfähigkeit einer erweiterten EU könne durch den "Übergang vom Staatenverbund der Union hin zur vollen Parlamentarisierung in einer Europäischen Föderation" gewährleistet werden. Ziel sei eine "konstitutionelle Neugründung Europas".

Dabei sollten die Nationalstaaten "fortexistieren und auf europäischer Ebene eine wesentlich stärkere Rolle behalten als dies die Bundesländer in Deutschland" hätten. Bei der Weiterentwicklung der EU müssten Frankreich und Deutschland eine Schlüsselrolle spielen.

Nach den Vorstellungen des Grünen-Politikers sollte ein Parlament aus zwei Kammern geschaffen werden. "Die Nationalstaaten werden entweder durch einen direkt gewählten Senat oder durch eine Staatenkammer analog dem Bundesrat präsentiert."

Die künftige europäische Regierung könnte aus der heutigen EU- Kommission fortentwickelt werden.

Fischer bezeichnete seine Rede als "persönliche Zukunftsvision" und unterstrich, es handle sich "nicht um die Position der Bundesregierung".

Angesichts der geplanten Erweiterung der Union stellt sich in den EU-Hauptstädten die immer drängendere Frage, wie Europa in Zukunft aussehen soll. Dabei gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Manche denken an eine eher lockere Verbindung von Staaten - Spötter nennen dieses Modell "europäische Freihandelszone". Andere können sich eine Föderation - also einen Staatenbund - mit eigener Regierung, einem Parlament und einer Verfassung vorstellen. In diese Richtung gehen Fischers Vorschläge.

Ein knappes halbes Jahr nach dem historischen "Erweiterungsgipfel" von Helsinki wird immer deutlicher, dass sich die bestehende Gemeinschaft zunächst fundamental ändern muss, um später einmal knapp 30 Mitglieder umfassen zu können.

Gerade das hat Fischer mit seiner Rede versucht. Den französischen Außenminister Vedrine dürfte der Vorschlag Fischers nicht überrascht haben, wonach eine Gruppe von EU-Staaten bei der politischen Integration rascher vorangeht als andere, denn die Pariser Vorschläge zielen in die gleiche Richtung.

Gerade Frankreich, das am 1. Juli turnusmäßig die EU- Präsidentschaft übernimmt, verspricht sich von der Diskussion um engere Zusammenarbeit mehr Schwung bei der EU-Reform. Vedrine ist überzeugt: "Europa muss wieder ein Projekt werden. Heute ist es (Europa) nicht mehr als ein Werkzeug, eine Gelegenheit", sagte er vor einer Woche beim informellen Außenministertreffen auf den Azoren. Die Zukunftsdebatte ist übrigens sowohl für Fischer als auch für Vedrine Anlass, demonstrativ auf das gute Verhältnis zwischen Berlin und Paris hinzuweisen.

Die größten Vorbehalte gegen eine weitere politische Integration in Europa gibt es in Skandinavien, in Irland und Großbritannien. Dagegen zeigen sich südliche Länder aufgeschlossener, auch wenn sie nicht zum Gründerclub gehören, meinen EU-Diplomaten. Innerhalb der EU der 15 Länder gibt es bereits einen engeren Kreis: den der elf Euro-Staaten. Die Auswirkungen der gemeinsamen Währung Euro werden bisher noch unterschätzt, gerade in den Ländern, die bisher nicht teilnehmen, heißt es in Brüssel.

Fischers Rede hat einem Begriff neuen Auftrieb gegeben: Kerneuropa. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter ihrem damaligen Vorsitzenden Wolfgang Schäuble hatte 1994 vorgeschlagen, eine Kerneuropagruppe mit Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländern als Motor der Europapolitik zu bilden.