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Fischers Skepsis

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Wenn sich alle einig sind, ist Vorsicht angebracht. Solch überbordender Konsens passt nicht in unsere Zeit, wo Dagegen-Sein auch ohne Argument längst als legitime Haltung akzeptiert ist. Und noch mehr Skepsis ist angebracht, wenn es dabei um Politik geht; zumal dann, wenn sich Parteien bei ihren Forderungen nach Selbstentmachtung wechselseitig nach oben lizitieren. Das ist - selbst in der Politik - wider die Natur des Menschen.

Man muss deshalb die Meinung von Bundespräsident Heinz Fischer nicht teilen, um dennoch dankbar für seine Kritik am derzeitigen Wettlauf "Wer ist mehr für mehr direkte Demokratie?" zu sein. Vielleicht gelingt es ja Fischers Skepsis, eine nüchterne Debatte über die Vor- und Nachteile direkter Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürger zu initiieren. Wahrscheinlich ist dies jedoch nicht, dafür greift die Diskussion über die Strukturdefizite der österreichischen Demokratie viel zu kurz.

Ja, es existiert ein Unbehagen am politischen Betrieb, das sich durch weite Teile der Bevölkerung zieht; allerdings sollte man, bevor man zu Reformen schreitet, schon versuchen, eine möglichst umfassende Problemanalyse zu erstellen. Was läuft tatsächlich falsch - aus Sicht der Bürger, aus Sicht der Problemlösungsfähigkeit des Systems? Ist das geklärt, sollte man ehrlicherweise fragen, welche Probleme gesamteuropäischer Natur sind, und welche sich in Österreich selbst lösen lassen.

Möglich, dass am Ende eines solchen Prozesses auch die Stärkung direktdemokratischer Entscheidungen steht; wenn, dann hoffentlich aber nur als ein Mosaiksteinchen unter anderen.

Einem so gestärkten Souverän sollte nämlich ein ebenso gestärktes Parlament gegenüber stehen. Viel spricht für die These, dass der Unmut über die hiesigen politischen Verhältnisse mit der Schwäche zentraler Institutionen der Republik zu tun hat, nicht mit deren Stärke. Hier wäre der Nationalrat an erster Stelle zu nennen; zu brechen gälte es dagegen das de facto bestehende Durchgriffsrecht der (Regierungs-)Parteispitzen auf sämtliche politischen Prozesse. Ein stärkeres Persönlichkeitswahlrecht könnte dazu einen Beitrag leisten.

Wenn mit der Einführung mehr direkter Demokratie der Ideenvorrat der Reformforderer bereits erschöpft ist, spricht einiges dafür, alles beim Alten zu lassen.