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Polen pochte bei EU-Gipfel auf mehr Mitsprache bei Eurozonen-Treffen.
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Brüssel. Für Marie war es ein schlechter Tag. Die Brüsseler Immobilienmaklerin musste mit ihrem Auto in ihr Büro in der Nähe des EU-Viertels kommen. Die U-Bahn, deren Haltestelle gleich um die Ecke ist, konnte sie nämlich nicht benutzen. Der Rollladen beim Eingang in die Metro war geschlossen, die Züge fuhren nicht. Auch die Straßenbahnschienen blieben unbenutzt, und die vierspurige Straße wirkte ohne die Autobusse seltsam leer. Denn belgische Gewerkschaften haben zum Generalstreik aufgerufen, der öffentliche Verkehr lag lahm. Und dann kam auch noch der Gipfel hinzu, der die Maklerin zu einem Umweg auf der Fahrt in ihre Arbeit zwang: Der Schuman-Platz war weiträumig abgeriegelt, weil die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondertreffen zusammengekommen sind.
Es fügt sich eins ins andere. Während in Brüssel die Politiker darum ringen, den Euro und vor dem Staatsbankrott stehende EU-Länder zu retten, müssen nationale Regierungen in ihren Ländern Sparprogramme durchsetzen. Gegen die gibt es dann Proteste wie in Belgien, wo etwa die Pläne der Regierung, das Pensionsantrittsalter heraufzusetzen, für Aufruhr sorgen. Und dieser Streik wiederum hatte auch Auswirkungen für die EU-Staats- und Regierungschefs, die zu dem sonst von allen Störaktionen abgeschirmten Gipfel reisten. Denn auch die Brüsseler Flughäfen waren von den Protesten betroffen - manche Regierungsmitglieder mussten auf einer Luftwaffenbasis rund 30 Kilometer von Brüssel entfernt landen.
Nur bis zum frühen Abend wollten sie einmal mehr darüber beraten, wie die Staaten zum Sparen gezwungen werden könnten. Denn der Fiskalpakt, der die Regeln für mehr Budgetdisziplin festlegen soll, war so gut wie ausverhandelt. Doch bis zuletzt gab es ein mühsames Tauziehen um die Details, und das ging bis in die späten Abendstunden. Denn auf einmal äußerte ein Nicht-Euro-Land massive Vorbehalte gegen den Fiskalpakt, den die 17 Euro-Mitglieder und möglichst viele weitere EU-Staaten unterzeichnen sollen - mit Ausnahme Großbritanniens, das das Abkommen schlichtweg ablehnt. Doch dann zeigte sich auch Polen skeptisch: Es knüpfte die Zustimmung zum Pakt an Bedingungen. Ohne Mitspracherecht keine Unterschrift, suggerierte Ministerpräsident Donald Tusk. Sein Land werde Verantwortung übernehmen, "wenn Warschau am Entscheidungsprozess beteiligt ist", erklärte er.
Ursprünglich war vorgesehen, dass die Nicht-Euro-Länder mindestens an einem der Treffen der Eurozonen-Mitglieder teilnehmen dürfen. Polen wünscht sich aber, bei jedem Eurozonen-Gipfel dabeizusein, der künftig zweimal im Jahr stattfinden soll. Der Kompromiss war: Die Nicht-Euro-Länder sollen an allen Beratungen teilnehmen dürfen, bei denen es um drei Themen geht - die Wettbewerbsfähigkeit, Veränderungen in der globalen Strategie der Euro-Währung und künftige Reformen der Grundregeln für die Gemeinschaftswährung.
Doch schließlich war es ein anderes Land, das sich dem Fiskalpakt nicht anschloss. Tschechien schert aus: Es will das Abkommen zunächst nicht unterschreiben. Seit längerem schwelt in der Regierung in Prag ein Streit um den Pakt sowie eine mögliche Volksabstimmung dazu, und der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus hat sich schon im Vorfeld "ganz klar" gegen die geplanten Regeln ausgesprochen.
Rettungsschirm ab Juli
So verpflichten sich zunächst nur 25 Staaten, die Schuldenbremse in nationalem Recht zu verankern. Andernfalls können sie von anderen Mitgliedstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden. Deutschland hätte es gerne gesehen, wenn auch die EU-Kommission ein Klagerecht gehabt hätte. Ebenso sollen Strafverfahren gegen Defizitsünder künftig schneller begonnen werden können.
Eine Einigung, die sich bereits im Vorfeld abgezeichnet hatte, gab es zum permanenten Euro-Rettungsschirm ESM. Der soll vorgezogen werden und ab Juli in Kraft treten. Der Fonds soll mit einer Kapazität von 500 Milliarden Euro ausgestattet werden und den bisherigen Rettungsschirm EFSF ablösen.
Doch Sparen und Kampf gegen die Schuldenkrise sollten nicht die einzigen Gipfelthemen sein. Vielmehr wollten sich die Staaten Gedanken darüber machen, wie die Wirtschaft wieder angekurbelt werden kann. Sie einigten sich auf verschiedene Wachstumsimpulse, zu denen die Stärkung des Mittelstands ebenso gehört wie die Senkung der Jugendarbeitslosigkeit oder die Vollendung des europäischen Binnenmarkts.
Allerdings ist es mehr eine Sammlung von Ideen als konkreter Programme: Schaffung von Lehrstellen oder nationale Aktionspläne zu speziellen Jugendprogrammen sind beispielsweise die Ziele. Die Bürger sollen merken, dass es nicht nur um Kürzungen, sondern auch um Maßnahmen zur Förderung von Wachstum gehe, sagte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann.
Ebenso wollen die Länder die vorhandenen Fördermittel effektiver einsetzen, wie aus der Abschlusserklärung hervorging. Nach Daten der EU-Kommission sind für dieses und das kommende Jahr noch rund 82 Milliarden Euro aus EU-Strukturfonds nicht verplant. Im Juni soll die Umsetzung der konkreten Maßnahmen überprüft werden.