Eigentlich dürften Sie diesen Artikel gar nicht lesen. In den letzten 2000 Jahren ist die Welt so oft untergegangen, dass schon längst niemand mehr Artikel schreiben, geschweige denn lesen dürfte. Aber die Sache mit dem Weltuntergang ist eben kompliziert, deswegen bietet das "Wiener Journal" zum Jahreswechsel einen apokalyptischen Grundkurs für Anfänger.
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Der Wortlaut ist in einem Protokoll notiert: "Wie heißen Sie?" "Bruder." "Ihr Alter?" "77.000 Jahre." "Wohnort?" "Im Königreich des Himmels." Dieser bemerkenswerte Dialog wurde von einem Arzt in Kiew aufgezeichnet. Der Befragte war eines der Mitglieder der "Weißen Bruderschaft", einer Sekte in der Ukraine, die für den 24. November 1993 den Weltuntergang erwartete. Geführt wurde sie von Marina Kriwonogowa-Zwigun, einer ehemaligen Funktionärin der sowjetischen Jugendorganisation Komsomol. Es hatte sich nämlich in den Wirren nach dem Ende der Sowjetunion herausgestellt, dass Frau Kriwonogowa in Wahrheit eine Wiedergeburt von Jesus und der Jungfrau Maria in einer Person war und deswegen fortan Maria Devi Christos genannt werden musste.
177 Sektierer wurden von der Polizei Ende Oktober festgenommen, um sowohl Massenselbstmorde als auch Angriffe auf die Sünder, von denen die Welt bekanntlich bevölkert ist, zu verhindern. Da die Polizisten aber mit Gefangenen im stattlichen Alter von 77.000 Jahren überfordert waren, brachten sie die ganze Truppe ins psychiatrische Krankenhaus. Das Ergebnis war, dass wenig später Ärzte und Pfleger in Hungerstreik traten, weil sie mit Weltuntergang und 177 Propheten überfordert waren.
Bekanntlich bestand allerdings die Welt über den 24. November 1993 hinaus. Damit war das große Ereignis ein weiteres Mal verpasst, das bereits im April desselben Jahres hätte stattfinden sollen, dem Monat, in dem die Sekte der Davidianer in Waco, Texas, apokalyptische Schlachten mit den Panzern des FBI lieferte. Seit damals ist die Welt schon so oft untergegangen, dass man alle die Daten gar nicht aufzählen kann. So hat etwa Richard Morning Sky aus seiner tiefen Kenntnis der Mythologie der Hopi-Indianer den 10. Mai 2004 unzweifelhaft als das Datum eines weiteren Weltuntergangs ermittelt, was angeblich auch dem Kalender der Azteken entspräche, sozusagen ein Trost für das Jahr 2000, in dem bekanntlich nichts geschehen war, rein gar nichts.
Nicht alle Weltuntergänge erweisen sich als so harmlos. Am 20. März 1997 hatten Anhänger der Sekte Aum Shinrikyo versucht, den Untergang zu beschleunigen, den sie für den Jahreswechsel 1997 erwartet hatten. Die Gefolgsleute des Gurus Shoko Asahara, einer Verkörperung von Jesus Christus und Buddha, hatten damals das Giftgas Sarin in die Stollen der U-Bahn von Tokyo eingeleitet, zwölf Menschen waren ums Leben gekommen, fünftausend verletzt worden, manche leiden heute noch an den Folgen des Attentats.
Dagegen waren die Methoden des Koreaners Park Hu Jin geradezu erholsam: Der hatte einen Weltuntergang für Ende des Jahres 1986 angekündigt, den Büßern ihre Vermögen abgenommen und der Damenwelt eine besondere Versicherung angeboten: Diejenigen, die mit ihm Sex hätten, würden ganz gewiss den Weltuntergang unbeschadet überstehen.
Tausend Jahre Glück
Der Weltuntergang ist also eine delikate Disziplin, in der es die christlich-jüdische Welt zu wahrer Meisterschaft gebracht hat. Ein zentraler Punkt dabei ist die kleine Insel Patmos in der östlichen Ägäis. Dorthin hatten vor etwa zweitausend Jahren die Römer einen gewissen Johannes verbannt, dessen Identität nicht eindeutig feststeht. Auf jeden Fall war er, wie er selbst schreibt, ein verfolgter Christ. Und eines Sonntags vernahm der geplagte Mann in seiner Inseleinsamkeit, fernab vom liederlichen Luxusleben in Rom, eine gewaltige Posaunenstimme, die ihm die bis heutige gültige Dramaturgie des Weltuntergangs diktierte.
Die wichtigste Erkenntnis, die man aus diesem Grundtext mitnimmt, lautet: Der Weltuntergang ist nicht ein tragisches sondern ein glückliches Ereignis. Es werden nämlich nur die Sünder untergehen, während für die Gerechten, zu denen natürlich der Autor gehörte, eine Zeit des großen Glücks anbricht. Folgende Rollen sind vorgesehen: eine Gruppe von rechtgläubigen Verfolgten, eine zweite Gruppe, die den verkommenen Rest der Menschheit umfasst. Ferner die Verkörperung des Bösen in der Gestalt des Antichrist und ein Anführer für die Guten, kurz Messias genannt. Zuerst leiden die Verfolgten unter allen denkbaren irdischen Ungerechtigkeiten und sind sehr unzufrieden mit ihrem Leben, danach tritt der Messias auf und ein heftiger Kampf zwischen den Bösen und den Guten entbrennt, den wie in Hollywood die Guten gewinnen. Darauf folgt das Tausendjährige Reich, ein goldenes Zeitalter, in dem die bisher Verfolgten endlich glücklich sind. Indessen versuchen jedoch die Bösen ein Comeback und es bricht ein heftiger Endkampf aus, den natürlich abermals die Rechtgläubigen gewinnen.
Viele der Ideen des einsamen Johannes, wie auch die mit dem Tausendjährigen Reich, sind in den darauffolgenden Jahrhunderten zu Dauerbrennern geworden. Schon unter den frühen Christen war die Meinung weit verbreitet, dass mit dem Erscheinen ihres Messias und dem allgegenwärtigen Verfall des Römischen Reiches das Weltende in Kürze zu erwarten wäre. Zu Beginn des Mittelalters kehrte die Untergangsstimmung regelmäßig wieder. So hielt sich, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, der spanische Abt Beatus von Liebana für Christus und kündigte das Ende der Welt für Pfingsten 782 an, worauf die Bauern in Panik verfielen und sich weigerten, zu essen oder ihre Felder zu bestellen. Der Historiker Ralph Lerner von der Universität Chicago hat an solchen frühmittelalterlichen Beispielen die wichtige Beobachtung gemacht, dass sich die Untergangshysterie unter bestimmten sozialen Bedingungen besonders leicht ausbreitet: Überbevölkerung, rasche soziale Veränderungen, Auflösung von Traditionen.
Der wiederkehrende Traum
In einer ähnlichen Situation entstanden auch die protestantischen Bewegungen in Europa zu Beginn der Neuzeit. Der Frühkapitalismus in den Städten und eine gewaltige Inflation durch Import von Edelmetallen aus Übersee rissen viele Menschen ins Elend. In dieser Periode des Umbruchs war die Erwartung des Weltendes weit verbreitet und fast alle protestantischen Führer, von Luther bis Thomas Münzer, gingen davon aus, dass in Rom bereits der Antichrist in Gestalt des Papstes saß und der Weltuntergang nur noch eine Frage von Jahren sei.
Im Gegensatz zu Luther, dem Gemäßigten, packte so manche protestantische Sekte die Sache radikal an, etwa die Wiedertäufer in Münster, eine Gruppe, die die Taufe von Kindern ablehnte und darauf bestand, nur Erwachsene, die sich ihres Tuns bewusst waren, zu Christen zu taufen. Sie erwarteten den Weltuntergang für das Jahr 1535, wonach Jesus Christus in der Stadt erscheinen würde und das glückliche Tausendjährige Reich errichtet werden sollte. Folgerichtig heißt Münster ab sofort das Neue Jerusalem, von dem schon Johannes in Patmos gesprochen hatte, der neue Messias heißt Johann von Leiden. Es herrscht Gütergemeinschaft, die Einehe wird aufgehoben und der Prophet selbst bringt es auf 17 Ehefrauen. Aber auch dieses Tausendjährige Reich besteht nicht allzu lange: Es wird von fürstlichen Truppen bereits am 24. Juni 1535 zerstört, wonach die Propheten mit glühenden Zangen öffentlich zu Tode gefoltert und ihre Gebeine an die Außenwände der Kirche gehängt werden.
Die Idee des Weltuntergangs überlebte den glühenden Zangen zum Trotz und tauchte in der Moderne in vielerlei Formen immer wieder auf, sei es in der Idee der finalen proletarischen Revolution, in der Gestalt des Übermenschen, in der Science Fiction, in ökologischen Katastrophen. Nach dem Kalender der Azteken wird mittlerweile der Maya-Kalender bemüht, um einen neuen Termin für einen Weltuntergang zu finden, wobei ein paar Rechenfehler in dem Modell offenbar dem Spaß keinen Abbruch tun. Zur Sicherheit kann man auch noch den Ausbruch des Vulkans im Yellowstone-Nationalpark vorhersagen, damit eine ordentliche Katastrophe zustande kommt.
Die Welt wird also noch oft untergehen und niemand muss enttäuscht sein, weil er einen Weltuntergang verpasst hat. Das schönste Schlusswort zu dem Thema stammt von Umberto Eco: "Wie sollen wir diejenigen, die das Ende der Welt kommen sehen, davon überzeugen, dass andere, in der Vergangenheit, es auch schon so gesehen haben, und das in jeder Generation? Dass es sich um eine Art wiederkehrenden Traum handelt…"
Untergangslektüre.
Georges Minois: Die Geschichte der Zukunft. Orakel, Prophezeiungen, Utopien, Prognosen. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Verlag Artemis & Winkler, Zürich 1988Maarten Keulemans: Exit Mundi. Die besten Weltuntergänge. Alles über Riesenmeteoriten, Supervulkane, Zombies, Gammablitze, Kettenreaktionen, Roboteraufstände, Big Crunch und diverse andere Katastrophen. Aus Niederländischen von Jörn Pinnow. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2010.
www.exitmundi.nl