Tausende Ukrainer kämpfen nicht in der ukrainischen Armee, sondern in Freiwilligenverbänden gegen die Aufständischen im Osten des Landes. Ein heikler Balanceakt für Kiew.
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Kiew. Fast könnte man an die Filmszene aus "Austin Powers" denken - nur, dass Marusja nicht "Dr. Evil" ist, und das kleine Knäuel auf ihrem Schoß nicht eine Katze, sondern ein Hund. Bei jedem Schuss, der wenige Meter vor dem Container fällt, zuckt er zusammen. "Er ist das noch nicht gewohnt", sagt Marusja und herzt den Welpen. Sie ist schlank, Anfang vierzig, trägt einen Tarnanzug und Silberohrringe in der Form des ukrainischen Wappens.
Hier, im Übungscamp nahe Kiew, rüstet sich der "Rechte Sektor" für den Krieg. Zelte stehen in der Talsenke, Schützengräben, Schießstände. "Viele Todesfälle gibt es ja gerade dann, wenn die Kämpfer an der Front schlecht ausgebildet sind", sagt Marusja, Kommandantin des "11. Bataillons". Hier werden Freiwillige "praxisnah" für die Front ausgebildet.
In einem Zelt sitzt Igor und bastelt an seiner Drohne. So ganz will er nicht zum Bild des berüchtigten "Rechten Sektors" passen - einer schlagkräftigen Gruppe von Rechtsaußen, die die Vorhut bildete, als die Gewalt am Maidan eskalierte. Im Herbst hat Igor in Kiew seinen Job als Tennislehrer an den Nagel gehängt, um im Donbass "sein Vaterland zu verteidigen" - aufseiten des "Rechten Sektors", und nicht der Armee. Er hat Geld zusammengekratzt, um eine Drohne zu bauen und so die Stellungen der Gegner auszuspionieren. "Krieg - das kennt man eigentlich nur aus dem Fernsehen", sagt er nachdenklich. "Aber wenn das in deinem Land passiert - das verändert dich."
Geringes Vertrauen in Armee
Das Vertrauen in Staat und Militär ist gering, das Prestige der Freiwilligenbataillone umso besser. Igors Geschichte ist typisch für die Ukraine. Tausende Kämpfer sollen in etwa 50 Freiwilligenbataillonen auf der pro-ukrainischen Seite kämpfen. Zu Beginn des Konflikts waren es gerade diese Milizen, die separatistische Kräfte zurückdrängen konnten. Seither werden sie als Helden verehrt. In die patriotischen Lobgesänge mischen sich aber immer wieder Horrorgeschichten: Wie dieser Tage vom Bataillon "Tornado", dem schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Auch Amnesty International sprach zuletzt von "Kriegsverbrechen durch Freiwilligenbataillone." Kiew hat versucht, das Problem zu lösen: Praktisch alle Kampfverbände seien inzwischen in die Streitkräfte integriert, heißt es aus dem Generalstab.
Einen Sonderfall stellt der "Rechte Sektor" dar, über dessen Status noch verhandelt wird. Erst am Wochenende kam es in der westukrainischen Stadt Mukatschewe zu schweren Zusammenstößen zwischen den Kämpfern und der Polizei, drei Menschen starben. Die Hintergründe sind noch nicht geklärt, es wird aber über einen Machtkampf um die Vertriebswege zur nahe gelegenen EU-Grenze spekuliert. Die Region Transkarpatien ist für den Zigarettenschmuggel berüchtigt.
Dabei standen die Zeichen zwischen Regierung und "Rechter Sektor" zuletzt auf Entspannung: Erst im April stieg Dmytro Jarosch, Chef des "Rechten Sektors", zum Berater des Generalstabs auf, um den Kontakt zu den Milizen zu verbessern.
Aber selbst dann, wenn die Verbände eingebunden werden, sei das oft nur formal - und die alten Befehlsketten blieben de facto erhalten, so Kritiker. "Auf dem Papier sind alle Freiwilligen-Einheiten unter der Kontrolle des Ministeriums für Verteidigung oder Inneres", schreibt Luke Coffey von der Heritage Foundation. "Aber auf dem Boden ist das keineswegs der Fall."
Mit der Eingliederung hören die Probleme noch nicht auf. "Wir wollen endlich auch mit schweren Waffen ausgerüstet werden", sagt ein Kämpfer des Bataillons "Aidar", der anonym bleiben will. Doch die Vorbehalte sind groß. "Es gab schon viele Vorfälle, die gezeigt haben, dass viele Freiwillige weder diszipliniert noch moralisch und psychologisch gut dafür vorbereitet sind", sagt die Journalistin Jekaterina Sergazkowa. Zudem gibt es Vorwürfe, Freiwillige würden die Waffenruhe brechen - und könnten somit der pro-russischen Seite einen Vorwand für eine Invasion liefern. "Ja klar, es gibt den Befehl, das Feuer einzustellen. Aber was sollen wir denn machen, wenn die anderen auf uns schießen?" sagt der Aidar-Kämpfer dazu. Einzelne Verbände sind zudem für ihre Neonazi-Ideologie bekannt - ein gefundenes Fressen für die russische Propaganda von der "faschistischen Junta" in der Ukraine. Der US-Kongress hat zuletzt jede Unterstützung für das Neonazi-Regiment "Asow" verboten.
Kämpfer mischen in Politik mit
Es gibt natürlich auch die andere Seite, sagt Igor, der Drohnenbauer: Die Freiwilligen gelten als unbestechliche Kämpfer - im Gegensatz zu der von Korruption durchsetzten Armee. Er sieht deswegen noch einen anderen Grund, warum die Verbände nicht bewaffnet werden: "Die Regierung hat Angst, dass wir am Ende nach Kiew ziehen, wenn es keine Reformen gibt." Ein denkwürdiges Beispiel gab zuletzt das Bataillon "Dnjepr-1" ab, das vom Oligarchen Ihor Kolomojski finanziert wird: Nachdem in einem Unternehmen eine für den Oligarchen unliebsame Entscheidung getroffen wurde, ließ er das Gebäude in Kiew kurzerhand von seinen Milizen umstellen.
Dabei mischen die Kämpfer längst auch schon in der Politik mit. Bei den Wahlen wurden
viele Freiwilligenkämpfer in das Parlament gewählt. Der für
seine rechtsextremen Positionen bekannte"Rechte Sektor" - Mitglieder hatten zuletzt die Gay Pride in Kiew angegriffen - ist unter der Führung Dmytro Jaroschs inzwischen zu einer Partei geworden. Sie scheiterte mit 1,8 Prozent zwar an der Fünf-Prozent-Hürde, Jarosch zog aber mit einem Direktmandat ins Parlament ein.
Zurück im Camp. Mit Politik und Ideologie hat Marusja nichts am Hut, wie sie sagt. "Bei uns gibt es zwei Grundsätze: Keinen Alkohol und keine Politik." Schließlich werde man nur so fit für die Front.