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Flagellanten und Kollapsologen

Von Erhard Fürst

Gastkommentare

Immer mehr Wissenschafter rechnen mit einem völligen Zusammenbruch unserer Zivilisation aufgrund des Klimawandels.


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Vor kurzem hat die französische Tageszeitung "Le Monde" zwei Seiten dem Thema "Der unerwartete Erfolg der Zusammenbruchstheorien" gewidmet. Dabei geht es um die steigende Zahl von Wissenschaftern, die in relativ naher Zukunft (20 bis 25 Jahren) mit einem völligen Zusammenbruch unserer Zivilisation aufgrund des Klimawandels rechnen.

Am Anfang steht das 2015 erschienene Werk "Comment tout peut s’effondrer" ("Wie alles zusammenbrechen kann") von Pablo Servigne und Raphael Stevens mit inzwischen 60.000 verkauften Exemplaren in Frankreich und Belgien. Dort findet sich auch der Begriff "Collapsologie" als neue interdisziplinäre Wissenschaft. Es scheint nur mehr eine Frage der Zeit, bis diese Bewegung auch auf andere Länder übergreift.

Eine Vorstufe ist schon erreicht: das ökologische Flagellantentum. Genauer gesagt, das schlechte Gewissen über unsere europäische Lebensweise, ob es sich um Flugreisen, Autofahren, Fleischkonsum oder Plastiknutzung handelt. Da bilden sich Büßerzirkeln, die sich kasteien und versuchen, einen Monat ohne Plastikverpackung zu (über)leben, in den Wintermonaten ohne Erdbeeren auszukommen und heuer keine Fernreise zu tätigen. Und die ohne Humor, Toleranz und Empathie ihre lähmenden, negativen Gefühle und Zukunftsängste verbreiten und umfassende staatliche Zwangsmaßnahmen einfordern.

Der scharfzüngige Philosoph Peter Sloterdijk meint treffend: "Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des unduldsamen guten Willens." Dass Europa für kaum mehr als zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen und ein Prozent des Plastikeintrags in die Ozeane verantwortlich ist, während Schwellenländer, wie China und Indien, ihren Beitrag zur globalen Umweltbelastung weiterhin substanziell erhöhen, wird hingenommen. Schließlich hätten unsere Vor-Vorfahren Wohlstand auf deren Kosten aufgebaut.

Dieser um sich greifende Marasmus steht in krassem Gegensatz zur Aufbruchsstimmung in den wirtschaftlich erfolgreichen Schwellenländern dieser Erde, in denen immer mehr Menschen dank ihres Arbeitseinsatzes, ihrer Lernbereitschaft und ihrer Offenheit gegenüber Technik und Innovationen in den Genuss einer Lebensqualität kommen, für die wir glauben, uns schämen zu müssen. Schlussfolgerung:

Seien wir stolz auf den von Europa erreichten Wohlstand und unsere Lebensqualität.

Mit Angst vor dem globalen Kollaps und Selbstgeißelung durch Verzicht kann Europa das Weltklima nicht retten, es schwächt nur seine wirtschaftliche und politische Gestaltungskraft.

Der erste Treiber der globalen Klimaentwicklung ist das unkontrollierte Bevölkerungswachstum. Geburtenkontrolle darf daher kein Tabuthema mehr bleiben.

Der zweite Treiber ist der wirtschaftliche Aufholprozess in den Schwellenländern. Dieser muss unter Nutzung neuer Technologien in einer umweltkompatiblen Form ablaufen.

Europas Rolle und Mehrwert in der Gestaltung der globalen Klimapolitik ist Innovation. Innovation vor allem in Technologien und klug angewandter Digitalisierung, aber auch in Politik, Governance, Organisation und Management.

Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung.