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Flaggen im Wind

Von Thomas Seifert aus Ramallah

Politik

Seit Mittwoch wehr palästinensische Flagge vor dem UN-Hauptquartier, doch der Friedensprozess ist klinisch tot.


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Ramallah. Lange Jahre war der israelisch-palästinensische Konflikt das Lieblingsgesprächsthema von Diplomaten und Journalisten, wenn es um den Nahen Osten ging. Dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton wird nachgesagt, dass er jeden Straßenzug, der zwischen dem palästinensischen Ost- und dem israelischen Westjerusalem verläuft, kannte, im Fernsehen und in Zeitungen tauchten die Ortsnamen von kleinen Orten wie Nablus, Hebron oder Beit Hanun öfter auf als die Namen von bedeutenden Megacities wie Hyderabad in Indien oder Hangzhou in China.

Doch dann kam der 11. September 2001, die US-Invasion und der anschließende Bürgerkrieg im Irak, die Zedernrevolution im Libanon und der arabische Frühling, der in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain und Syrien ins Land zog und auf den in fast all diesen Ländern ein tiefer, blutiger arabischer Winter folgte.

Die arabischen Nationen der Region sind entweder längst de facto zerbrochen – wie Irak oder Syrien – oder sind mit Flüchtlingswellen aus Syrien überfordert – wie Jordanien oder der Libanon – oder mischen – wie die Golfstaaten – im schmutzigen Syrien-Krieg mit, als sich mit dem Palästinenserproblem herumzuschlagen. Jordanien, die Türkei, Russland, Iran und die USA sowie Frankreich und Großbritannien sind übrigens ebenfalls im Syrien-Krieg aktiv.

Und Israel? Die Regierung von Benjamin Netanjahu ist ganz froh darüber, dass der israelisch-palästinensische Friedensprozess nicht mehr länger auf der Agenda der Welt-Diplomatie steht. Denn selbst für die Europäer ist angesichts der Flüchtlingswelle aus Syrien eine Lösung dieses Konflikts derzeit viel drängender, als der Zank um neue Siedlungen, der Streit um Jerusalem oder die Debatte, ob denn nun eine Ein-Staat- oder eine Zwei-Staaten-Lösung für Palästinenser und Israelis erstrebenswerter sei. US-Präsident Barack Obama wiederum hat sein ganzes politisches Kapital vis-à-vis dem israelischen Premier Netanjahu bereits eingesetzt und ihn mit dem Atom-Deal mit Israels Erzfeind Iran vor den Kopf gestoßen. Netanjahus Nerven mit einem Drängen zu Zugeständnissen an die Palästinenser weiter zu strapazieren, hat Obama daher nicht vor. Und angesichts der Tatsache, dass die Al-Kaida-nahe Al-Nusra-Front die syrisch-israelische Grenze am Golan kontrolliert, hat Netanjahu wenig Interesse an einer Veränderung des Status quo.

"Fühlen uns nicht weiter an das Abkommen gebunden"

Für Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas ist all das höchst unerfreulich, auch wenn seit gestern erstmals die palästinensische Flagge am Vorplatz der Vereinten Nationen im Wind flattert – eine Tatsache, an die ein riesiger Bildschirm gleich gegenüber vom Royal Court Hotel in Ramallah hinweist.

Zuvor hatte es aus dem Umfeld von Abbas geheißen, er werde bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung eine Bombe platzen lassen. Das war dann auch der Fall. Denn Abbas kündigte das historische Friedensabkommen von Oslo mit Israel offiziell auf. Solange Israel die Einigung von 1993 ständig verletze, wollten die Palästinenser nicht die einzigen sein, die sich an das Abkommen hielten, sagte Abbas am Mittwoch in New York.

Der Schritt könnte weitreichende Folgen haben und ein schwerer Rückschlag für den ohnehin kaum existenten Friedensprozess sein. Allerdings gilt das Osloer Abkommen, das den Palästinensern einen eigenen Staat und Israel Frieden bringen sollte, schon lange als gescheitert.

Vor der UN-Vollversammlung betonte Palästinenserpräsident Abbas nun: "Wir erklären, dass, solange Israel nicht die mit uns getroffenen Vereinbarungen umsetzt und solange Israel sich weigert, die Besiedlung der besetzten Gebiete zu stoppen und palästinensische Gefangene freizulassen, dass sie uns keine Wahl lassen, als darauf zu bestehen, dass wir nicht die einzigen sind, die sich an das Abkommen halten, welches Israel ständig verletzt." Und: "Wir erklären deshalb, dass wir uns nicht weiter an das Abkommen gebunden fühlen."

Forderung nach Staat entlang der Grenzen von 1967

Seit Jahren fordert Abbas vom UN-Sicherheitsrat eine Resolution, in der ein Ende der israelischen Besatzung zu einem bestimmten Datum dekretiert und ein palästinensischer Staat entlang der Grenzen von 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt eingerichtet wird. Für Israels Premier Netanjahu kommt dies freilich nicht in Frage. Gleichzeitig hat die palästinensische Autonomiebehörde immer weniger Rückhalt in der Bevölkerung: Die Korruption – schon unter PLO-Chef Jassir Arafat legendär – übersteige jegliches erträgliche Maß, die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel mache aus den palästinensischen Sicherheitskräften Handlanger der israelischen Besatzer, wird geklagt. Eine Intifada – ein neuerlicher Palästinenseraufstand wie zuletzt im Jahr 2000 und davor von 1987 bis 1991 und schließlich 1993 – wird daher für wenig wahrscheinlich gehalten. "Wer lässt sich schon gerne für Abbas erschießen?", meint eine junge Gesprächspartnerin.