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Flaggschiff mit russischem Staatsemblem

Von Elisabeth Heresch

Wirtschaft

Eigentlich hat kaum noch jemand in der westlichen Öffentlichkeit den Eindruck, dass von den kostbarsten Kronjuwelen Russlands, den weltweit begehrten Rohstoffen, überhaupt noch etwas zur Gänze dem Staat gehört. Sehr oft machen Sensationsmeldungen über Oligarchen Schlagzeilen, und man liest von den sagenhaften Dimensionen ihrer Unternehmen, die sich diese meist im Zuge un- oder fehlorganisierter Privatisierung aneignen konnten.


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Zu auffällig folgte beispielsweise die Verhaftung eines der bekanntesten russischen Magnaten seinem Versuch, ohne Genehmigung des Kreml ein Energiegeschäft mit China abzuschließen. Jedoch fährt noch, oder besser gesagt: wieder, ein Flaggschiff mit russischem Staatsemblem mit Erdöl und Erdgas auf Erfolgsskurs. Es ist die Erdölfirma Rosneft, die als einzige zu 100% in Staatsbesitz verblieben ist.

Angesichts der Produktionszahlen, die unlängst in Wien präsentiert wurden, kann es nicht verwundern, dass das Unternehmen zunehmend den russischen Öl- und Energiebereich beeinflusst. Daher gedenkt die russische Führung auch Rosneft fest in ihren Händen zu behalten.

Die einzige zu 100% in Staatsbesitz befindliche Aktiengesellschaft auf dem russischen Energiesektor wurde per Erlass im September 1995 gegründet und ist aus einem maroden Betrieb hervorgegangen. Ihr Auftrag lautet, wie schon der Name sagt (Rosneft = Abkürzung für russisches Erdöl), Öl- und Gasgewinnung, Rohölverarbeitung und der Vertrieb der Endprodukte innerhalb Rußlands und im Ausland mit dem Ziel, das Unternehmen zu einem weltweit führenden Konzern zu machen.

Dynamische Entwicklung

Sergej Bogdantschikow, Chef dieses Staatsbetriebes und Präsident von Rosneft, kann Zahlen vorlegen, die für eine dynamische Entwicklung innerhalb der weniger als zehn Jahre dauernden Existenz des Konzerns mit neuer Unternehmensstruktur sprechen.

Rosneft verfügt über vierzig Tochterunternehmen in 21 Regionen der Russischen Föderation. Der Konzern unterhält Aktivitäten vom Zentrum und dem Süden des europäischen Landesteils über den Norden bis Sibirien und in den Fernen Osten. Mit über 60.000 Beschäftigten betrug die Kapitalisierung 2003 um die 6,3 Mrd. Dollar. Im vergangenen Jahr wurden 21 Mill. Tonnen Erdöl und über 7 Mrd. Kubikmeter Erdgas gefördert und 9 Mill. Tonnen Erdöl verarbeitet.

Bis zum Jahr 2013 will die Konzernführung die Erdölgewinnung verdoppeln, die Verarbeitung um über das Doppelte und die Erdgasförderung um das annähernd Siebenfache steigern. Dabei will sie sich die strategisch aufgebaute Rohstoffbasis zunutze machen, die sich über ein Netz von mehr als zweihundert Förderstätten ausbreitet.

Der Vorrang gilt dabei strategischen Investitionsprojekten zur Förderungssteigerung und zur Diversifizierung von Produktionsaktivitäten zugunsten der zukunftsträchtigsten Wirtschaftszweige. So wird etwa ein Schwerpunkt auf den Ausbau der Förderkapazitäten bei den größten Vorkommen wie vor der Insel Sachalin, in West- und Ostsibirien, in der Timan-Petschora- und der Priraslomnoje-Öl- und Gasregion, in der Barents-See und dem Kaspischen Meer gelegt.

Eigene Schiffterminals für den Öl- und Gastransport Richtung Europa oder USA unterhält Rosneft im Süden in Tuapse am Schwarzen Meer, im Norden in Primorsk, Murmansk und Archangelsk Richtung Rotterdam und Dixon im Nordosten, ferner vor Sachalin und vor allem im Fernen Osten Nachodka. Ein weiteres Schiffsterminal ist in Wostotschnyj am Pazifik in Bau.Bei den wichtigsten Großprojekten im Norden des europäischen Russland sowie in der Barents-See operiert Rosneft über seine Tochterfirma Sewernaja Neft und in Joint Ventures wie etwa Sewmorneftegas mit Gasprom, im Asowschen Meer mit Lukoil, im Schwarzen Meer mit TotalFinaElf, im Kaspischen Meer mit Royal Dutch/Shell und auf Sachalin mit Exxon. Mit der Ausbeutung der Vorkommen im Schtokman- und Priraslomer Gebiet wird zugleich die Ära der off-shore-Erschließung in den Arktischen Meeren eingeleitet.Rosneft hofft, mit seiner für ein Großunternehmen dieser Kategorie relativ flexiblen Unternehmensphilosophie, die Chancen der Liberalisierung der Energiemärkte für den Aufbau strategischer Partnerschaften mit westlichen Energieträgern nutzen zu können. Gelingt das, ist auch zu erwarten, dass - anders als bei den Gewinnen privater Großkonzerne in Rußland - die erwirtschafteten Mittel dem infrastrukturellen und sozialen Aufbau des Landes zugutekommen können.

Europa-Büro in Wien

Das einzige Büro für Europa unterhält das Unternehmen in Wien. Sein Direktor Alexander Karpuschin vermittelt mit seinem perfekten Englisch den Eindruck, dass in diesem Staatsbetrieb ein neuer Wind weht. Nichts mehr soll dort an verstaubte Repräsentanzen früherer sowjetischer Monopolunternehmen erinnern, vielmehr will man sich als moderne, marktwirtschaftlich orientierte, Firma darstellen. - Entschieden wird jedoch allein in Moskau. - Auf die Frage, warum Rosneft die Europa-Repräsentanz ausgerechnet in Wien hat, antwortet Karpuschin: "Wien ist eine schöne Stadt, aber sie bietet vor allem eine zentrale Lage nach allen Seiten. Die Anwesenheit internationaler Organisationen ist ein weiterer großer Vorteil."