Laut Umfrage stehen Europäer trotz Krise hinter dem Einigungsprozess.
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Den Haag/Athen/Rom.
Der EU geht es so schlecht wie nie zuvor, die Euro-Krise nimmt immer dramatischere Ausmaße an, die Arbeitslosenzahlen steigen - ein Ende der schlechten Zeiten ist nicht absehbar: Doch die Europäer stehen immer noch hinter dem Einigungsprozess, der von Jean Monnet und Robert Schuman nach dem Zweiten Weltkrieg als Friedensprojekt aus der Taufe gehoben wurde.
Wenn es hart auf hart geht, haben Europas Populisten und EU-Gegner das Nachsehen - ein Trend, der sich am Mittwoch bei der Wahl in den Niederlanden bestätigt hat. Der Rechtspopulist Geert Wilders, der den Austritt aus der Europäischen Union und dem Euro fordert, muss dramatische Verluste hinnehmen. Seine "Partei für die Freiheit" verlor spektakulär, sackte von 24 auf 15 Sitze ab. Der Islam-Kritiker hat die Wiedereinführung des Gulden gefordert - und hatte in den letzten zwei Jahren ein gewichtiges Wort bei der Regierungsarbeit mitzureden. Doch damit ist Schluss, die Wähler haben dem einstigen Aufsteiger einen Platz auf der Oppositionsbank zugewiesen. Hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben ist auch Hollands EU-skeptische Linke. Die Sozialisten unter Emile Roemer waren im Vorfeld als zweitstärkste Partei gehandelt worden, es wurde schon spekuliert, welchen Kurs die Niederlande unter einem Premier Roemer einschlagen würden. Der "Fall X" ist nicht eingetreten, die Sozialisten konnten sich nicht steigern und bleiben bei 15 Mandaten.
Die rechtsliberale Regierungspartei VVD unter Premier Mark Rutte, der den Sparkurs der deutschen Kanzlerin Angela Merkel konsequent mitträgt, erzielte hingegen das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Der "Teflonpremier" wird wohl Premier bleiben, seine Partei zieht mit 41 Mandataren ins Parlament ein. Die gemäßigten Sozialdemokraten, die ebenfalls einen strikten Pro-EU-Kurs fahren, kommen mit 39 Sitzen ins Parlament. Entgegen allen Prognosen können die zwei EU-Befürworter ohne dritten Partner eine Regierung bilden.
Kein Durchbruch für Tsipras
Ein ähnliches Bild bietet sich im Epizentrum der Finanzkrise. Roemers griechisches Pendant heißt Alexis Tsipras, als Vorsitzender des radikal linken Syriza-Bündnisses versetzte er die EU im Juni in Angst und Schrecken. Der 37-jährige Shooting-Star in der politischen Arena bot der Spar-Troika aus EU, EZB und IWF mit radikalen Forderungen die Stirn, warb mit einem Stopp der griechischen Kreditzahlungen und umgab sich mit prononcierten Linksintellektuellen wie den Neomarxisten Slavoj Zizek. Im ersten Wahlgang im Mai erreichte Syriza überraschend den zweiten Platz; der zweite Wahlgang Mitte Juni wurde zum Duell zwischen Tsipras und dem konservativen Premier Antonis Samaras hochstilisiert. Hier der junge Rebell, der das "europäische Spardiktat" überwinden will, dort jener Mann, der das scheinbar Unvermeidliche akzeptiert und die Brüsseler Linie durchzieht. Die letzte Wahlkundgebung der Konservativen und der Syriza-Leute im Juni zeichnete ein deutliches Bild, das in gewisser Weise für ganz Europa gilt: Das Herz schlug für den Rebell, doch der Verstand gebot, sich zu fügen und Samaras - nachweislich einer der Mitverursacher des ökonomischen Desasters - das Vertrauen auszusprechen. Die Menschen strömten vor dem Wahlgang am 17. Juni auf den Athener Omonia-Platz, um Tsipras’ Rede zu hören. Es wurden Parolen gerufen, die Menschen drängten sich auf den Zufahrtsstraßen. Griechenland wehre sich dagegen, wie ein "deutsches Protektorat" behandelt zu werden, rief Tsipras zur Fahnen schwenkenden Menschenmenge. Einen Tag später schließlich die finale Kundgebung der regierenden Nea Dimokratia (ND): prominent im Zentrum von Athen, direkt vor dem Parlament - aber weit schwächer besucht. Kein Jubel, keine Begeisterungsstürme: Das war auch nicht zu erwarten, denn Samaras sprach von notwendigen finanziellen Einschnitten und der "Pflicht", den "europäischen Weg weiterzugehen". Die bescheiden große Menge nickte, die Mehrheit der ND-Wähler war zuhause geblieben und verfolgte die Veranstaltungen - wenn überhaupt - im Fernsehen. Doch die Nea Dimokratia gewann, erhielt 29,5 Prozent der Stimmen, zwei Prozent mehr als Syriza, deren Abgeordnete auf der Oppositionsbank Platz nahmen.
Rechte im Trend
Von der hohen Arbeitslosigkeit - sie liegt mittlerweile bei über 22 Prozent - und der immer schlechter werdenden wirtschaftlichen Lage frustriert, wenden sich jetzt immer mehr Griechen der "Goldenen Morgenröte" zu; einer rechtsextremen Partei, die alle illegale Migranten ausweisen und die EU zum Teufel schicken will. Bei der Wahl schaffte die "Morgenröte" mit 18 Mandataren den Einzug ins Parlament, seither steigt ihre Popularität. Während Syriza an Zuspruch verliert, haben die Rechtsextremen laut Umfrage im September erstmals die Zehn-Prozent-Marke übersprungen und vier Prozentpunkte dazugewonnen. Damit wären sie drittstärkste Kraft im Parlament. Immer öfter ziehen rechtsextremistische Schlägertrupps durch die Städte und zerstören Verkaufsstände schwarzafrikanischer Migranten, zuletzt war die Stadt Mesolongi betroffen.
In Italien liebäugeln unterdessen immer mehr Bürger mit der Anti-EU-Bewegung "Fünf-Sterne" um den Starkomiker Beppe Grillo. Der fordert den Austritt aus der Euro-Zone, die Abwertung der Lira, und er will ausländische Banken zwingen, Schuldenzahlungen in der wieder eingeführten Landeswährung mit Verlusten zu akzeptieren. Jeder zweite Italiener kann sich vorstellen, Grillo zu wählen. Der Komiker, der politisch nur schwer einordbar ist, will in einer Volksabstimmung klären, ob die Italiener den Euro überhaupt noch wollen. "Wir werden nicht alle Beschlüsse einer Gruppe von Bankern und Politikern überlassen", so Grillo, der den Euro als "Strick um den Hals" bezeichnet. Unterstützung bekommt er von der rechtspopulistische Oppositionspartei Lega Nord. Die Separatisten wollen automatisch jene Regionen aus der EU ausschließen, die keine ausgeglichene Bilanz vorlegen. Damit wäre der größte Teil des Mezzogiorno zwar weiterhin bei Italien - aber nicht mehr im Euro-Raum.
Kurzlebiger Erfolg?
Auch wenn "Fünf Sterne" bei den letzten Teilkommunalwahlen 18 Prozent der Stimmen erhalten hat, ist es mehr als fraglich, ob sie diesen Erfolg bei Parlamentswahlen wiederholen kann. Die europäischen Erfahrungen lehren etwas anderes. Der Unmut ist angesichts staatlicher Sparprogramme, Milliarden-Stützungen für Griechenland und das Bankensystem sowie steigender Arbeitslosigkeit zwar groß; die letzte Konsequenz zu ziehen und politische Kräfte an die Macht bringen, die dem Projekt Europa den Rücken kehren - das will man auch in Italien nicht. Der Trend zieht sich quer durch alle 27 EU-Länder - zumindest wenn man einer Eurobarometer-Umfrage vom Juni glaubt. Das Ansehen der EU in der öffentlichen Meinung hat sich demnach im letzten Jahr nicht nur nicht verschlechtert, sondern deutlich verbessert. 40 Prozent denken positiv über die EU - im November 2011 waren es nur 31 Prozent gewesen. Eine große Mehrheit hält die EU-Mitgliedschaft für eine "gute Sache". In Österreich, dem Land der "Grantler", hält sich die Begeisterung allerdings in Grenzen (siehe Artikel unten). Der EU-kritischen FPÖ wird aber auch hierzulande zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Sieg bei den nächsten Wahlen zugetraut.