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Flecken auf der weißen Weste

Von Tom Appleton

Reflexionen

John F. Kennedy war zeitlebens auch ein Star, der nicht immer mit anständigen Mitteln an seinem Glanz und seiner Glorie arbeitete - einige kritische Nachträge zu seiner Biographie.


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Leider gibt es keine Schallplattenaufnahmen aus der Zeit der alten Römer, weswegen niemand mit Bestimmtheit sagen kann, ob Namen wie Caesar oder Cicero nicht doch wie Kaesar oder Kikero ausgesprochen wurden. Ungewiss ist auch, ob der Buchstabe V wie ein U - oder gar wie ein englisches W in "well" oder "wall" - daherkam.

Kennedys Aussprache-Hilfen für seine berühmte Berliner Rede. Bild: Landesarchiv Berlin/Wikimedia Commons.

In England und Amerika heißt es jedenfalls "Kikero" und auch der lateinische Bürger, "civis", wird wie "kiwis" ausgesprochen. Das muss man wissen, wenn man verstehen will, was der Satz "kiwis Romanus sum" bedeutet, denn der Kiwi-Vogel war bei den alten Römern noch unbekannt.

"Civis Romanus sum", "Ich bin ein römischer Bürger", das war die lateinische Formel, die Kennedy bei seiner berühmten Berliner Rede im Sommer 1963 einschob, bevor er dann ihre moderne Variante vom Stapel laufen ließ. So wie man einst voller Stolz sagen konnte, "Ich bin ein Römer", erläuterte er, könne man jetzt sagen, "Ich bin ein Angehöriger der Freien Welt", oder verkürzt: "Ich bin ein Berliner."

Trainierte Spontaneität

Verfolgt man diesen Teil der Rede heute auf YouTube, (es ist ein kleiner Film-Ausschnitt von wenigen Minuten), kommt man nicht umhin, den brillanten Schnitt des Films und das geniale Timing der Rede selber zu bewundern. Einen Tag vorher hatte Kennedy fast die gleiche Rede vor amerikanischen Piloten in Wiesbaden gehalten, und lebhaften Applaus geerntet. Für Berlin aber erfand er noch dieses Einschübsel. Hinter sich das Rathaus Schöneberg, vor sich das nach Tausenden zählende Berliner Publikum, sagte er nun: "Es gibt Menschen, die meinen, dass man mit den Kommunisten diskutieren könne. Let them come to Berlin." Und er wiederholt das, eine gute rednerische Kaskade, dreimal hintereinander, immer um eine Steigerungsstufe höher, zuletzt sogar auf Deutsch: "Lasst sie nach Berlin kommen. Let them come to Berlin."

Was so spontan und improvisiert wirkt, war vorausbedacht. Fünfzig Jahre später findet man auf Wikipedia das Zettelchen, auf dem Kennedy sich seine fremdsprachlichen Zitate vorher notiert hatte, mit amerikanischer Aussprachehilfe: "Lusd z nach Bearlin comen." Auch die anderen beiden Zitate -- "Ish bin ein Bearleener", und "kiwis Romanus sum" - finden sich, mit derselben Handschrift, auf Kennedys Redemanuskript wieder (vgl. Abbildung).

Man erkennt an dieser Stelle, dass Kennedys Deutschkenntnisse marginal waren. Zwar kam erst kürzlich ein Bändchen mit Reisenotizen des jungen Kennedy aus der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg heraus. Titel: "Unter Deutschen." Da das Werk auf Deutsch in einem deutschen Verlag erschien, hielt man es offenbar nicht für notwendig, darauf hinzuweisen, dass Kennedy seinerzeit auch durch Österreich und ganz Europa gereist war. Der Titel wäre vielleicht zu unhandlich geworden: "Unter Deutschen, Österreichern, und anderen Europäern." Jedenfalls weckt der kürzere Titel die Illusion, Kennedy hätte auf Deutsch noch mehr sagen können, als "Ich bin ein Berliner." Es scheint aber, dass das schon so ziemlich alles war.

Diese Europareise war so etwas wie ein Geschenk seines Papas für den erfolgreichen Studien-Verlauf des Sohnes an der Harvard-Universität. Kennedy war aus nicht näher definierten "gesundheitlichen Gründen" bereits aus zwei früheren Studiengängen ausgestiegen. In Harvard, das zeigt eine ebenfalls im Internet nachzulesende Aufnahmeprüfung, waren einst gute Latein- und Altgriechisch-Kenntnisse gefragt.

Geliehene Rhetorik

Kennedy durchlief, Mitte der Dreißigerjahre, nicht unbedingt eine universitäre Schnellbleiche, aber doch ein Studium ohne Griechisch und ohne Latein. Sonst hätte er sich kaum diesen Spruch mit den "kiwis" notieren müssen. Und natürlich hätte er gewusst, dass es eben dieser "Kikero" gewesen war, der sich bitter beklagte, dass der römische Bürger, der in den Provinzen, beispielsweise in Sizilien, sein stolzes "civis romanus sum" ertönen ließ, größere Chancen hatte, ermordet zu werden, als auf den Schutz der Staatsmacht rechnen zu können.

Aber es war egal, ob Kennedys eigene Bildung genügend Tiefgang besaß. Er hatte auf alle Fälle einen guten Redenschreiber, Ted Sorensen, der auch rhetorisch einiges drauf hatte, siehe den klassischen Chiasmus, "Ask not what your country can do for you / ask what you can do for your country." Und Kennedy besaß die richtige Bühnenpräsenz, um solche Formeln "locker vom Hocker" rüberzubringen. Auch im Radio.

Als Kennedy 1940, mit 23 Jahren, sein Harvard-Studium abschloss, trat er fast zeitgleich mit einer Buchpublikation hervor. Das Buch hieß: "Why England Slept"; es handelte davon, wie England vom Beginn des Zweiten Weltkriegs überrascht wurde. Welcher Kennedy, fragt man sich an dieser Stelle, hätte ein solches Buch wohl besser schreiben können -- Joseph P., der Vater, der in England von 1938 bis 1940 als US-Botschafter weilte? Oder der Sohn, John F., der bis zum Juni 1940 in Harvard studierte?

Die Frage stellte damals offenbar niemand. Man akzeptierte den charmanten jungen Mann wie selbstverständlich als Autor. Auch als Kennedy 1957 für seine "Profiles in Courage" (deutsch: "Zivilcourage", 1960) den Pulitzerpreis erhielt, immerhin die höchste literarische Auszeichnung, die man in Amerika bekommen kann, wurde das nicht hinterfragt. Erst Jahrzehnte später gestand Sorensen in seiner Autobiographie, dass er das Buch geschrieben hätte.

Die Geheimniskrämerei im Kennedy-Umfeld war gewissermaßen umfassend, aber wasserdicht. Mein Eindruck war es immer, dass Gore Vidal zu den hier beschäftigten Hausautoren gehörte. Vidal lüftete zwar das Geheimnis über sein Pseudonym als Krimi-Autor Edgar Box, aber ob er Robert Kennedys "Gangster drängen an die Macht" verfasst hatte, darüber schwieg er sich aus.

Immerhin erfahren wir, ebenfalls Jahrzehnte später, dass Kennedy das ganze Weiße Haus verwanzen ließ; regelmäßig wurden Gespräche im Oval Office und anderswo mitgeschnitten. Die Rechnung dafür zahlte allerdings erst Richard Nixon.

"Mithören" ist der Titel eines amerikanischen Buches, das verschiedene Live-Mitschnitte aus Kennedy-Interviews dokumentiert, sowohl in schriftlicher Form, wie im Audio-Format auf beigefügter CD. Die Erkenntnis, die man aus diesen Gesprächsfetzen gewinnt, ist: Kennedy war charmant, aber ahnungslos. Ein Kronprinz der Geldaristokratie, an Politik eigentlich desinteressiert. Sein Interesse galt den Wahlkämpfen, die er souverän beherrschte, wie andere sich mit Pferderennen auskennen. Er gewann sie, weil er über die besseren Seilschaften verfügte, und früher aufstand als seine Gegner.

Fragwürdiges Milieu

Tatsächlich erfährt man mehr über das familiäre Umfeld, das die Gebrüder John F. (genannt Jack), Robert und Edward (Teddy) hervor brachte und in die Politik trieb, aus einem Schlüsselroman von Dominick Dunne. Dunne kannte das Milieu aus eigener Anschauung, entstammte er doch selber einer irisch-katholischen "Old Money"-Familie der Ostküste, aus Neu-England. Der vertuschte Mord im Brennpunkt seines roman à clef, indessen, betrifft einen Kennedy-Cousin, Michael Skakel, der schließlich, und nicht zuletzt in Folge von Dunnes überdeutlichen Hinweisen, 27 Jahre nach der Tat angeklagt und zu einer Gefängnisstrafe von 20 Jahren verurteilt wurde.

Dunnes Interesse konzentrierte sich sichtlich darauf, diesen echten Täter vor Gericht zu bringen. Zugleich ging es ihm aber auch darum, das, bei aller zur Schau getragenen hyperkatholischen Frömmelei, grundsätzlich verbrecherisch und mafiös angehauchte, von gekauftem Schweigen getragene Klima des Kennedy-Clans anschaulich zu machen. Dunne verweist eher zurückhaltend auf seine eigene (reale) Bisexualität. Er scheint aber, sub rosa, auch auf Kennedys homosexuelle Neigungen anzuspielen. Obwohl nicht explizit benannt, ist dies ebenfalls der Eindruck, der sich einem im Buch "Unter Deutschen" aufdrängt.

Aber selbst wenn Kennedy nur gelegentlichen Sex mit Männern gepflegt hätte, wäre das seiner politischen Karriere im Amerika jener Zeit zweifellos abträglich gewesen. Die etwas debütantinnenhafte Gattin mit den Rehaugen an seiner Seite, die offenbar nie etwas von den zahllosen Affären ihres Mannes mitbekam, diente hier zur Imagepflege wie -korrektur, und Dunne scheint anzudeuten, dass Jackie sich die Position als Präsidentenweibchen auch entsprechend bezahlen ließ.

Ein Friedensfürst?

In neueren, wie mir scheint, "revisionistischen" Darstellungen von Kennedys Präsidentschaft zeichnen Historiker wie Jeffrey D. Sachs den Präsidenten gern als Friedensfürsten, der sich im letzten Halbjahr seines Lebens vom Kalten Krieger zum Vermittler zwischen Kapitalismus und Kommunismus, ja fast schon zum Freund Chruschtschows gewandelt hätte. Gewiss, der Vietnamkrieg nahm seinen rasanten Aufschwung erst im Folgejahr, 1964, unter Johnson. Aber der Auftragsmord am katholischen Statthalter Südvietnams, Diem, erfolgte auf amerikanisches Geheiß, auch wenn Kennedy sich über die Nachricht von Diems Tod "entsetzt" gezeigt haben soll. Hier sieht die Geschichte so aus, als ob die Präsidentschaft zusehends aus dem Ruder lief, dass Kennedy schlicht und einfach die Kontrolle über die Dinge verlor. Er war wohl doch in erster Linie der Pop-Star, der Präsidenten-Darsteller.

Es war ein Zufall, dass "With the Beatles", die zweite Scheibe der Pilzköpfe aus Liverpool, in England genau am 22. November 1963 auf den Markt kam, und fast auf den Tag genau auch in Kanada, während der Präsident der USA in Dallas, Texas, in aller Öffentlichkeit erschossen wurde. Real dagegen war, dass sich die kollektive Volkstrauer wenige Wochen später in einem tausendfachen Greinen entlud, dem man den Namen Beatlemania gab.

Literatur

  • Oliver Lubrich (Hg.): John F. Kennedy: Unter Deutschen. Reisetagebücher und Briefe 1937-1945. Aufbau Verlag, Berlin 2013, 256 Seiten.

  • Dominick Dunne: Zeit des Fegefeuers. Goldmann Verlag, München 1996 (Original "A Season in Purgatory", 1993).

  • Ted Widmer (Hg.): Listening In. The Secret White House Recordings of John F. Kennedy. Hyperion, New York 2012.

Tom Appleton, geboren 1948, Journalist und Schriftsteller. Nach Jahren in Berlin, Teheran, Bonn, Wellington und Wien lebt er jetzt wieder in Neuseeland.