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"Flexibilisierung heißt Verzicht auf Einkommen"

Von Veronika Gasser

Wirtschaft

In der Baubranche hat sich in mehreren Etappen bereits durchgesetzt, was die restliche Industrie unter dem Schlagwort Flexibilisierung seit Monaten einfordert: Bauarbeiter verzichten auf einen Teil der Überstundenzuschläge und somit auf Einkommen. Dies bestätigte am Freitag Strabag-Chef Hans-Peter Haselsteiner. Er hofft, dass die Arbeitnehmer bei der nächsten Kollektivvertragsrunde zu weiteren Einschnitten bereit sind.


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Haselsteiner gibt ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch recht: "Mit der Einführung eines Jahresarbeitszeitmodells (wie es von der Industriellenvereinigung gefordert wird, Anm.) ist natürlich ein Einkommensverlust verbunden. Denn damit gibt es keine teuren Überstunden mehr."

Seit 1996 hätten die Bauarbeiter in mehreren Schritten auf wesentliche Teile ihres Entgelts verzichtet, das rechnet ihnen der Bau-Tycoon hoch an. "Die Arbeiter haben bereits große Opfer gebracht und durch den Verzicht von Überstundenzuschlägen einiges auf ihre Schultern genommen. Wir sind ihnen zu Dank verpflichtet." So verliert ein Bauarbeiter durch das veränderte Arbeitszeitmodell bereits jetzt die Zuschläge für zweieinhalb Wochen. Der Verlust macht im Jahr zwischen 550 und 650 Euro aus. Haselsteiner und Porr-Chef Horst Pöchhacker hoffen, dass bei der soeben begonnenen Kollektivvertragsrunde weitere Einsparungen möglich sind. "Das Potential ist noch nicht ausgeschöpft", meinen beide.

So will die Bauindustrie nun tatsächlich die Jahresarbeitszeit durchsetzen, womit die Bauarbeiter abermals eine maßgebliche Veränderung beim verfügbaren Einkommen, aber auch beim Bezug des Arbeitslosengeldes in Kauf nehmen müssten. Haselsteiner: "Im Sommer gibt's weniger Cash und im Winter keine Arbeitslose." Doch er hält nichts von einer Stichtagsregelung, die Umsetzung des Modells zur Senkung der Winterarbeitslosigkeit müsste längerfristig und sozial verträglich geschehen.

Sind keine Sozialschmarotzer

Schon jetzt sei die Zeit in der die Beschäftigten im Winter stempeln gehen um (die bereits erwähnten) zweieinhalb Wochen verkürzt worden. Die Vorwürfe des Wirtschaftsministeriums, wonach sich die Bauindustrie auf Kosten der Arbeitslosenversicherung saniere, weist das Bauindustrie-Duo zurück. "Wir sind nicht die Schmarotzer des Systems." Vielmehr hätten die Bauarbeiter eben durch den Verzicht auf Arbeitslosengeld einen großen Teil der Lasten übernommen. Mittlerweile zahle die Bauwirtschaft ebenso viel ein wie sie aus dem Arbeitslosentopf herausbekomme. Die Statistiken des Wirtschaftsministeriums, so der Strabag-Vorstand, wonach die Bauindustrie das AMS-Budget mit einem Sockel von 20.000 Arbeitslosen und 75 Mio. Euro belaste, seien falsch: Denn mindestens die Hälfte seien keine Bauarbeiter im klassischen Sinn, sondern per Zufall zuletzt als Hilfskräfte am Bau beschäftigt gewesen. Sie dürften aber nicht zugerechnet werden.

Auch die Kritik betreffend der Wiedereinstellungszusagen, mit denen "es sich die Baubranche auf Kosten der Allgemeinheit richtet", wurde relativiert. Laut interner Statistik der Urlaubs- und Abfertigungskasse seien lediglich 1.000 Arbeitnehmer mit einer Wiedereinstellungszusage abgesichert. Die übrigen Arbeiter müssten zu Saisonende mit unverbindlichen Zusagen gekündigt werden. Als Rezept gegen die hohe Bauarbeitslosigkeit - im Jahresschnitt sind 42.000 und im Jänner des heurigen Jahres sogar 85.627 Personen von 230.000 Beschäftigten ohne Job - pochen Pöchhacker und Haselsteiner auf mehr Bauinvestitionen der öffentlichen Hand. Denn Flexibilisierung und neue Arbeitszeitmodelle allein könnten die Beschäftigung keineswegs heben, es brauche dazu vielmehr ein höheres Wirtschaftswachstum.