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Grünbuch der Kommission bringt Lösungsvorschläge. | Sozialschutz muss ausgeweitet werden. | Öffentliche Debatte in Österreich besorgniserregend. | Brüssel/Wien. Sie liegen an den Rändern des Arbeitsrechts: Atypische Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse oder Arbeitskräfteüberlassung verdrängen nicht nur in Österreich das traditionelle, auf Vollzeitbeschäftigung gerichtete Arbeitsverhältnis. Was bezüglich der Beschäftigung positiv ist, kann sozialpolitisch bedenklich sein - wenn nämlich Menschen, die in diesen Beschäftigungsformen arbeiten, nicht ausreichend sozial abgesichert sind.
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#Grünbuch der EU
Die Europäische Kommission hat sich deshalb in ihrem Grünbuch mit dem Problem beschäftigt. Sie erkennt dabei zu Recht, dass es illusorisch und sachlich unzulänglich wäre, alleine auf die Sicherung der traditionellen Arbeitnehmerrechte zu setzen und alle neuen Beschäftigungsformen so weit wie möglich in die für das traditionelle Arbeitsverhältnis etablierten Regelungen zu zwingen.
Denn weltweit führte die Veränderung der Produktionsformen dazu, dass Unternehmen immer seltener stabile Beschäftigungsverhältnisse anbieten können, ohne ihre Konkurrenzfähigkeit zu gefährden. Just-in-time Produktion, Lean Management - eine schlanke Unternehmensführung mit flachen Hierarchien - und die Auslagerung von Geschäftsprozessen in eigenständige Gesellschaften führen zwingend dazu, dass eine kontinuierliche Beschäftigung bei einem Unternehmen, das nur einen kurzen Abschnitt des Entwicklungs- und Produktionsprozesses betreut, nicht mehr gewährleistet werden kann. Diese Entwicklung als "typisch neoliberal" abzutun, würde zu kurz greifen. Klar konzentrierte und gestraffte Produktionsprozesse führen schließlich zu Preisen, bei denen das Herz des Konsumenten jubelt.
Ambivalente Situation
Gesamtgesellschaftlich ist diese Entwicklung damit ambivalent: Einerseits sichert eine hohe Produktivität den Zugang zu innovativen und erschwinglichen Produkten und Dienstleistungen und sichert die Existenz von Unternehmen und damit die Chance auf tatsächliche Beschäftigung. Andererseits bringt sinkende soziale Absicherung immer mehr Menschen in ungesicherte Lebenssituationen, gefährdet die soziale Kohärenz einer Gesellschaft und reduziert gleichzeitig die Binnennachfrage nach Produkten und Dienstleistungen. Es wäre deshalb ein historisches Versagen, tatenlos zuzusehen, wie das traditionelle Arbeitsrecht und damit die Chance auf die soziale Absicherung durch das Arbeitsverhältnis in der Realität immer mehr ausdünnen.
Die Kommission stellt mit dem Grünbuch verschiedene Lösungsansätze vor und möchte durch gezielte Fragen Problembewusstsein schaffen, um die Weiterentwicklung des Arbeitsrechts anzuregen.
Ein tauglicher Ansatz ist das Konzept der Flexicurity: Es ist vertretbar, den Schutz der Arbeitnehmer gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu reduzieren, wenn durch starken Vermittlungsdruck und das Recht auf Umschulung die Chance auf Wiedererlangung eines Arbeitsverhältnisses erhöht und der Betroffene gleichzeitig durch Anspruch auf ein hohes Arbeitslosengeld sozial ausreichend abgesichert ist. Soziale Sicherheit wird nach diesem Konzept verstärkt durch überbetriebliche Institutionen gewährleistet.
Initiativen in Österreich
In dieser Philosophie wurde in Österreich auch das System "Abfertigung neu" geschaffen, das die Betriebe von der Abfertigungslast befreite, den Arbeitnehmern den Arbeitsplatzwechsel erleichterte und gleichzeitig die Abfertigungszahlung durch die Mitarbeitervorsorgekasse sichert.
Ein anderer Ansatz ist, den für Arbeitnehmer bestehenden Schutz punktuell auch auf arbeitnehmerähnliche Personen auszudehnen. Hier hat Österreich eine jahrzehntelange Tradition etwa im Zugang arbeitnehmerähnlicher Personen zum Arbeitsgericht und der Anwendung des Dienstnehmerhaftpflichtrechts auf Nichtarbeitnehmer, die wirtschaftlich abhängig sind. Diese Tradition gipfelte in der Werkvertragsregelung und erstreckte den Schutz durch die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf jedes aus Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen. Im aktuellen Regierungsprogramm ist in diesem Sinn endlich auch die Ausweitung der Arbeitslosenversicherung vorgesehen.
Auch für die Neugestaltung des Vertragsrechts gibt es wissenschaftliche Vorarbeiten: Theodor Tomandl, emeritierter Professor für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien, hat bereits vor Jahren innovative Vorschläge zur grundlegenden Neugestaltung des Vertragsrechts für Arbeitnehmer, freie Dienstnehmer und arbeitnehmerähnliche Selbstständige gemacht.
Keine Zauberlösung
Eine Lösung der Zukunft der sozialen Absicherung darf man sich allerdings nicht mit dem Zauberstab neuer gesetzlicher Regelungen erwarten. Weil es soziale Sicherheit niemals zum Nulltarif geben kann, müssen zu ihrer Finanzierung neue Quellen erschlossen werden, wenn man sie nicht über die Unternehmen und die Preise für deren Produkte und Dienstleistungen mehr finanzieren will. An diesem Punkt ist die öffentliche Debatte besorgniserregend: Wenn verbesserte öffentliche Leistungen für den Fall der Arbeitslosigkeit und gleichzeitig eine Abgabensenkung gefordert werden, kann dies nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Wolfgang Mazal ist Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien.