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Fliegende Kühlschränke untersuchen

Von Hanns-Jochen Kaffsack

Politik

Die europäische Raumfahrt bereitet ein ebenso heikles wie spannendes Abenteuer vor, das tief im All stattfinden und neue Erkenntnisse bringen soll. Das Technikzentrum ESTEC im niederländischen Noordwijk testet in diesen Wochen die Sonde "Rosetta" für eine Langzeitmission auf Herz und Nieren: Sie soll am 13. Jänner 2003 von Europas Weltraumbahnhof Kourou aus die Jagd auf einen fernen Kometen beginnen.


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Erstmals in der Raumfahrt-Geschichte wird ein Schweifstern begleitet und umkreist sowie ganz aus der Nähe abgelichtet und vermessen. Zu der 700 Millionen Euro teuren Mission gehört ein kleines Landegerät, das auf dem Kometen verankert wird und dann wertvolle Daten über die Urmaterie eines Schweifsterns sammelt.

Das Ziel liegt fast neun Flugjahre entfernt in eisiger Kälte. Wie genau der "schmutzige kosmische Schneeball" aussieht, weiß niemand. "Wirtanen" oder "Komet 46P", so heißt jedenfalls der Schweifstern, den Europas Weltraumorganisation (ESA) ausgewählt hat. "Ich dachte immer, die Amerikaner würden als erste auf einem Kometen landen, aber nun tun wir es", sagt der ESA-Wissenschaftsdirektor David Southwood. "Bisher war das noch der Stoff, aus dem Science-Fiction gemacht ist."

Und in der Tat klingt das, was die beim Start drei Tonnen schwere Sonde mit 13 Instrumenten leisten soll, nach Utopie a la Jules Verne. Mit einer deutschen Kamera an Bord können Forscher "live" verfolgen, wie sich ein Komet bei Annäherung an die Sonne erwärmt. Unterdessen dringt ein Bohrer samt Mikrokamera aus dem nur 100 Kilogramm schweren Landegerät etwa 20 Zentimeter tief in die Eiskruste des Kometen ein.

Urmaterie gekühlt gelagert

Kometen sind "kosmische Kühlschränke", die noch unverfälschte, in eine eisige Starre gefallene Urmaterie zu bieten haben. Die Forscher hoffen also, mit der Sonde ein ideales Studienobjekt dafür zu finden, wie der Urnebel chemisch zusammengesetzt gewesen ist. Die Ursprünge des Sonnensystems vor 4,6 Milliarden Jahren zu entschlüsseln, das hat ebenso viel mit der Suche nach den Wurzeln zu tun wie das Entziffern alter Hieroglyphen. Ein Inschriften-Stein, den ein Soldat Napoleons nahe der ägyptischen Stadt Rosetta entdeckte, half dem französischen Gelehrten Jean-Francois Champollion einst, die Hieroglyphen zu lesen. "Rosetta" soll nun die Ursprünge von Leben und Sein "lesbar" machen.

Nach den Tests in Noordwijk wird die Sonde für Französisch-Guyana eingeschifft. Auf den Start in Kourou mit einer Ariane-5-Rakete folgt ein dreimaliges Schwung holen in den Schwerkraftfeldern von Mars und Erde.

Rendezvous für 2011 geplant

"Rosetta" fliegt an den Asteroiden (Kleinplaneten) Otawara und Siwa vorbei und leitet im November 2011 das Kometen-Rendezvous ein - im September 2012 schwenkt der "Botschafter Europas" in eine Bahn um "Wirtanen" ein, nahezu 400 Millionen Kilometer von der Erde und 500 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt. Die deutsch-französische Landekapsel, entwickelt unter der Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), wird auf der Kometenoberfläche verankert.

Mit einer Geschwindigkeit von 46.000 Kilometern in der Stunde rast der nur wenige Kilometer große Komet dahin. "Rosetta" begleitet ihn während seiner dramatischen Annäherung an die Sonne, die den Kometen aufwärmt und so zum Gase absondernden Schweifstern macht. Unterdessen schießt die Kamera des Landegeräts Panoramafotos und funkt sie an die einen Kilometer entfernte Sonde. Klappt alles, dann festigt Europa damit seinen Spitzenplatz in der Kometenforschung. Bereits mit dem Vorbeiflug der Giotto-Sonde am Halleyschen Kometen (1986) zeigten die Europäer, was sie können. "Rosetta" schlägt das nächste Kapitel auf.