Beim fortgesetzten Prozess um eine Massenschlägerei gingen mitunter die Emotionen hoch.
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Wien. Mit voller Wucht wirft der Angeklagte nach Verhandlungsende den Holzsessel zu Boden. Ein Mordslärm erfüllt den Gang vor dem Verhandlungssaal. Augenblicklich wird der Jugendliche von einem Polizisten in Zivil und einem uniformierten Beamten umringt. "Was ist das für ein Benehmen? Ist das notwendig? Das ist komplett geschissen", fährt der Polizist den Angeklagten an. Auch seine Betreuerin und ein Verteidiger reden auf ihn ein. Warum er seinen Frust gerade vor zig Zuschauern, darunter einigen Polizisten, und in einem Gerichtsgebäude auslässt, kann der Jugendliche nicht erklären.
Auch am 5. März 2016 ist es wüst zugegangen. Bei einer Massenschlägerei in Wien-Brigittenau vor einem Jugendzentrum wurden sieben tschetschenische Jugendliche verletzt, drei davon schwer. Ein Opfer überlebte nur dank einer Notoperation. Zu den Angreifern sollen laut Staatsanwaltschaft Wien der Angeklagte und neun weitere Jugendliche gehören. Zum Teil sollen die fast durchgängig afghanischen Angeklagten mit Messern und Eisenstangen gekämpft haben.
Die Angeklagten hatten sich deswegen am Donnerstag vor einem Schöffensenat (Vorsitz: Daniel Potmesil) des Straflandesgerichts Wien zu verantworten. Die Staatsanwaltschaft legt ihnen schwere gemeinschaftliche Gewalt zur Last. Drei Angeklagten wird zusätzlich absichtlich schwere Körperverletzung vorgeworfen.
"Verteidigt Grosny"
Seit dem Prozessauftakt Mitte Oktober wurde bereits mehrmals verhandelt. Bis es am Donnerstag weiterging, dauerte es eine Weile. Ein Angeklagter kam fünfzehn, ein weiterer zwanzig Minuten zu spät. "Ich frage Sie gar nicht erst, warum Sie zu spät sind", sagte Potmesil. Gelächter im Saal.
Der erste Zeuge - er befindet sich in Strafhaft - erschien in einem schwarzen T-Shirt bei Gericht. Darauf war ein Gewehr abgebildet, dazu der Slogan: "Defend Grozny" (auf Deutsch: Verteidigt Grosny). Grosny ist die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tschetschenien.
"Können Sie sich an einen von denen erinnern?", fragte Potmesil ihn und deutete auf die Angeklagten. "Nein. Die schauen alle gleich aus", antwortete er. Identifizieren könne er niemanden. Im Vorfeld der Schlägerei habe er gehört, dass ein Afghane und sonst jemand "ein Eins gegen Eins gemacht" hätten. Er und seine Landsleute hätten sich gedacht, dass eine Schlägerei bevorstehe.
Als die Afghanen beim Jugendzentrum auftauchten, seien sie zuerst vom Betreuer weggeschickt worden. Dann seien sie aber wiedergekommen. Bei der anschließenden Schlägerei hätten etwa zwölf Tschetschenen gegen 30 bis 40 Afghanen gekämpft, behauptete der Zeuge.
Widersprüchliche Belastung
Ein weiterer Zeuge - auch er befindet in Strafhaft - konnte ebenfalls niemanden identifizieren. Ein dritter Zeuge gab hingegen an, er erkenne jemanden von der Schlägerei wieder. "Den Dunkelhäutigen", sagte er. Einer der Angeklagten ist gebürtiger Sudanese. Diesen habe er "kurz erblickt", als er von der Schlägerei weggelaufen sei, behauptete der Zeuge. Er habe eine rote Kappe aufgehabt. "Ich habe keine rote Kappe aufgehabt", verteidigte sich der Angeklagte. "Das sieht man auch auf den Fotos", stimmte Potmesil dem Angeklagten zu.
Eigentlich war für den gestrigen Tag die Urteilsverkündung geplant. Zwei Zeugen erschienen aber nicht. Die Ladung war von einem Zeugen sogar eigenhändig übernommen worden. Als Potmesil seine Telefonnummer wählte, meldete sich nur dessen Großvater. Sein Enkel sei "mit einem Freund unterwegs", erzählte dieser. Eine Nummer, unter der man seinen Enkel erreichen könne, gebe es nicht. Zur zwangsweisen Vorführung des Zeugen wurde die Verhandlung auf den 15. Februar vertagt.