Die Frühgeschichte des Bankenwesens führt in die Zeiten der italienischen Stadtstaaten, wo sich das Geschäft mit dem Geld rasant entwickelte - mit all den Gefahren fehlender Kontrolle, die wir aus heutigen Krisen kennen.
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Geld schläft nicht. Dieser einfachen Erkenntnis verdanken wir Wohlstand und wohl auch ein Stück sozialer Gerechtigkeit. Jedenfalls in dem Maße, wie die Entwicklung einer komplexen Finanzwirtschaft hierzu beitragen konnte. Aber was geschieht, wenn die Kontrolle über eben diese Komplexität in die falschen Hände gerät? Wenn der Zusammenbruch kapitalstarker Banken unser öffentliches System gefährdet und die Trennlinie zwischen Staat und Privatwirtschaft zunehmend schwindet?
Was uns als höchst aktuelle Problemlage erscheint, ist keine Erfindung der Neuzeit. Die Bedeutung von Kontrolle innerhalb eines funktionierenden Finanzsystems, die nicht privaten Zwecken dienen darf, ist eine erfahrungsgesättigte Erkenntnis aus einer längst vergangenen Epoche. Öffnen wir uns also dem Gedanken, dass auch das "dunkle" Zeitalter ein hilfreicher Lehrmeister sein kann und betrachten wir die Geschichte des spätmittelalterlichen Europas, die uns als ferner Spiegel dienen kann.
Der Ruf der Messen
Als die modernen Finanzzentren in den Kinderschuhen steckten und die Wallstreet noch ein grüner Fleck im Stammesgebiet der Delaware war, zog das Kapital Europas auf anderen Wegen durch das Land, angelockt vom Ruf weithin bekannter Messen. Am Puls der damaligen Wirtschaft waren sie die Spielwiese großer Namen, aber auch der Sehnsuchtsort vieler Kleinanleger.
Während der Warenhandel immer weiter in den Hintergrund trat, träumte man hier den Traum des großen Geldes, das damals wie heute Kredit- und Devisenhandel versprachen. Im Ausland abschätzig als Lombardi bekannt, wurde deren Geschäft mit dem Geld zur Voraussetzung des modernen Bankenwesens und zugleich die Grundlage und das Verhängnis eines der fortschrittlichsten sozialen Experimente der damaligen Zeit - des italienischen Stadtstaates.
Wie so oft in der Geschichte stand auch am Anfang dieses mittelalterlichen Wirtschaftswunders eine Revolution, ein wirtschaftlicher Aufschwung, der im 12. Jahrhundert Europa wieder ins Zen-trum des globalen Warenhandels rückte. Aus aller Welt kamen die Güter, um die Bedürfnisse der wachsenden Städte zu decken. Viele profitierten von der Erweiterung der Handelswege und dem wachsenden Geldverkehr.
Die größten Gewinne aber erzielten italienische Händler, die sich an den Knotenpunkten des internationalen Warenverkehrs niederließen. Fortan schlossen sie sich in Handelsunternehmen zusammen, teilten Liquidität, Erfahrung und Geschäftskontakte, um schließlich ihren Erfolg über ein weitgespanntes Netzwerk eigener Filialen zu sichern. Unmengen an Münzen begannen die Kassen zu füllen, mussten aufbewahrt und transportiert werden.
Ein Zuviel an Geld durfte aber keine Einschränkung sein. So lag es auf der Hand, dass nur ein neues Verständnis der Geldwirtschaft den gestiegenen Bedürfnissen eines globalen Handels gerecht werden konnte. Mit dem Wechselbrief gelang hierbei eine erste einschneidende Errungenschaft, die umgehend zum beliebtesten Instrument wurde, um das Geld dorthin fließen zu lassen, wo es gewinnbringend eingesetzt wurde. Es konnte nun allerorts eingezahlt und in lokaler Währung wieder abgehoben werden.
Hinter dieser innovativen Form des Geldtransfers erkannten die großen Handelsunternehmen bald die Chance, Kredite zu vergeben und - dank eines kleinen Tricks der Geldwechsler - zusätzlich die Zinssätze in den Wechselkursen zu verstecken. Bereinigt vom Schandfleck des Wuchers öffneten sich so neue, bisher unvorstellbare Gewinnaussichten vor den Augen der aufmerksamen Unternehmer, die ab sofort im Kredithandel ihre Zukunft sahen. Bald notierte ein Zeitzeuge über die ungeliebten Lombardi: "Sie kommen zu uns ohne einen Pfennig, nur mit Feder und Papier leeren sie unsere Taschen."
Das attraktivere Geschäft mit dem Geld begann den Warenhandel in den Hintergrund zu drängen. Hinweise auf diese Entwicklung liefern uns die Umschlagplätze jener Zeit, in erster Linie die großen Messen. In der Champagne, in Flandern, in Ostengland feilschten die Händler zunächst um Stoffe, Pelze, Gewürze und allerlei andere Waren. Ihnen folgten aber bald "Wechselbänke für Gold und Silber, ganz und gar mit Münzen bedeckt", wie der Bestseller dieser Zeit, der "Parzival", das glänzende Schauspiel beschreibt. Bis schließlich auch die Kreditindustrie diese profitablen Versammlungsorte für sich entdeckte.
Nirgends flossen größere Geldsummen, nirgends konnte man besser Geschäfte machen. Hier traf man sich, um Kredite zu vergeben, Geld zu wechseln, Schulden zu begleichen. Hier traf man sich aber auch, um Zinssätze und Wechselkurse untereinander abzusprechen und die ersten Regeln des gerade entstandenen Geldmarktes festzusetzen. Die Messen wurden so zu Finanzplätzen mit festen Zahlungsterminen, Treffpunkt all derer, die in dieses Geschäft investieren wollten.
Erste Protobanken
Vorläufer der Bankkonten, sowie die Perfektionierung der Buchhaltung machten die bare Münze überflüssig, während die Transaktionen über Wechselbriefe und Schecks abgewickelt wurden. Eine streng hierarchische Firmenstruktur, eigene Schulen und Lehrlingsbetriebe sorgten für immer zahlreicheres und qualifizierteres Personal, das dank der fortschrittlichen Finanzinstrumente die Gewinnmaximierung auf den wachsenden Märkten vorantrieb.
Gekoppelt mit einer rigorosen Sicherheitspolitik überzeugten diese Entwicklungen schließlich auch die einfachen Privatanleger, ihre Ersparnisse den neu entstandenen Unternehmen anzuvertrauen, um im Gegenzug auf eine gute Rendite hoffen zu können. Die private Investmentbank war somit geboren.
Das eiserne Band, das Privatwirtschaft und öffentliche Institutionen miteinander verbindet, kann freilich zum Segen oder zum Fluch beider Parteien werden, damals wie heute. Dessen ungeachtet entstand in der folgenden Entwicklung dieser ersten Protobanken eine immer engere Bindung an politische Institutionen. Den Monarchen und Herrschenden wurden riesige Geldsummen bereitgestellt, oft ohne jeglichen Anspruch auf Rückzahlung.
Aber worin lag der wirtschaftliche Nutzen? Unter diesen verlockenden Angeboten verbarg sich der Versuch, über die Kontakte zu den Herrscherhäusern an wichtige Ämter zu gelangen. So übernahmen die einflussreichsten Bankunternehmen bald die Schlüsselpositionen in den Finanzverwaltungen der entstehenden Staatsapparate. Sie wurden die Schatzmeister der Könige und des Papstes.
Sie verwalteten ihre Einkommen und ihre Ausgaben, die Steuern und die Staatsverschuldung, kontrollierten schließlich die gesamte Währungspolitik. Aber nicht nur die öffentliche Verwaltung wurde von diesen Organisationen abhängig. Auch der private Sektor profitierte von ihrem stetigen Wachstum. Denn der wachsende Geldhandel brachte mehr Liquidität und leichtere Kredite, die ein Segen für die Wirtschaft waren. Händler und Handwerker konnten nun ihre Geschäfte ausweiten. Eine neue Selbstsicherheit beflügelte die aufkommenden Stände und verhalf zu einem innovativen Bürgerverständnis, das mit den großen Umwälzungen jener Epoche zur Grundlage der freien Stadtstaaten wurde.
Aber wie bereits erwähnt, können Segen und Fluch Hand in Hand gehen. Das zeigt sich beispielhaft am Schicksal von Florenz, das binnen weniger Jahre zu einer der größten und mächtigsten Städte des damaligen Europa wurde, um kurz darauf in eine scheinbar ausweglose Krise zu verfallen.
Die Hauptakteure dieser rasanten Entwicklung waren die "Super Companies" der Zeit. Unter ihnen die Frescobaldi, die dank gewagter Spekulationen, wie das Bereitstellen immenser Geldsummen an das englische Königshaus, bald die gesamte Geldpolitik des Reiches kontrollierten. Unter ihnen auch die Bardi und Peruzzi mit Filialen in ganz Italien, aber auch in Paris, London, Barcelona, Tunis, Zypern, Jerusalem und vielen anderen Städten.
Florenz’ Niedergang
Doch die Spekulation mit den Königshäusern sollte bald ihr Risikopotential offenbaren. Um das Jahr 1300 begannen die Einnahmen zu sinken. Der englische König Edward III. konnte seine Schulden nicht mehr begleichen. Die Anleger wurden misstrauisch und es begann ein panischer Wettlauf in dem verzweifelten Versuch, das eigene Kapital zu retten. Es kam zu ersten Pleiten, die in einer unaufhaltsamen Kettenreaktion auch die größten Banken zu Fall brachten.
Der erste große Bankencrash der Geschichte beraubte kleine und große Anleger ihres Geldes. Er riss aber auch Handel und Produktion mit sich. Und als ob dies nicht schon genug wäre, schlüpfte im Jahr 1347 aus einer genuesischen Galeere jene Maus, die mit ihrem unsichtbaren und doch so tödlichen Reisebegleiter die Welt verändern sollte. Die Pest versetzte der geschwächten Stadt den letzten Stoß . . .
Der Niedergang von Florenz bedeutete jedoch den Aufstieg der Medici. Die Übernahme der Stadt durch ihre mächtigste Finanzdynastie ist ein anderes Kapitel in der Geschichte Europas. Hier aber soll sie uns als Lehre dienen: Wenn die sozialen Strukturen erlahmen, wenn die Kontrolle abhanden kommt, dann wird das Gemeinschaftsleben käuflich, und dann herrscht allein das Geld. In Zeiten der Krise, aber auch neuer beispielloser Möglichkeiten, dürfen wir dies nicht vergessen, damit auch wir, wie einst Florenz, in ein neues Zeitalter finden - in eine Renaissance.
Oliviero di Lanzo, geboren 1990, Studium der Kulturwissenschaften an der Fakultät für Geschichte und kulturelles Erbe der Universität Siena, arbeitet als freier Publizist und Übersetzer.