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Florett oder Breitschwert?

Von Christian Rösner

Politik
Während draußen die Fahrgäste über den -ffi-Stillstand fluchten, war es in der Leitzentrale der Wiener Linien so ruhig wie schon lange nicht mehr.
© Wiener Linien

Gewerkschaft legt Bus, Bim und U-Bahn lahm: Scharfe Kritik an der Form des Protests von fast allen Seiten.


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Wien. Weil es vor kurzem eine Attacke gegen einen Straßenbahnfahrer gegeben hat, stehen am Mittwoch Früh alle Öffis still: Der Betriebsrat des Fahrpersonals der Wiener Linien hält von 4 bis 6.30 Uhr Betriebsversammlungen ab. Die Gewerkschaft will damit erreichen, dass diverse Sicherheitsmaßnahmen schneller umgesetzt werden - die "Wiener Zeitung" hat berichtet.

Naturgemäß zeigt man sich in der Geschäftsführung der Wiener Linien nicht besonders begeistert darüber, aber auch auf politischer Ebene gibt es Kritik von verschiedenen Seiten. Selbst Wiens Bürgermeister Michael Häupl meinte am Dienstag, dass hier ein Konflikt ausgerechnet auf dem Rücken jener ausgetragen werde, die am wenigsten dafür könnten - nämlich der Fahrgäste.

"Es hätte auch andere wirksame Mittel gegeben, um auf das Problem aufmerksam zu machen", meint auch ein Mitarbeiter der Wiener Linien zur "Wiener Zeitung". Man hätte hier sehr wohl die Wahl zwischen dem Florett und dem Breitschwert gehabt. "Die Gewerkschaft hat sich aber ganz klar für das Breitschwert entschieden, und das finden hier viele sehr schade."

Er meint damit, dass zum Beispiel ein fünfminütiger Stillstand der -ffis um die Mittagszeit, begleitet von breitenwirksamen Facebook-Aktionen weitaus plakativer gewesen wäre, als auf Kosten der Fahrgäste den Frühverkehr zum Erliegen zu bringen. "Aber wenn es heute noch Gewerkschaftsfunktionäre gibt, die nicht einmal eine E-Mail-Adresse haben und meinen, dass sie auch keine brauchen, dann kommt das schon sehr altbacken daher. Mehr als eine Hau-drauf-Mentalität kann da nicht herauskommen", poltert der Mitarbeiter.

Betriebsratswahlen im Mai

In der Stadtregierung vermutet man als Motiv für die Vorgangsweise die Betriebsratswahlen, die am 15. und 16. Mai stattfinden. Anders könne man sich das gar nicht erklären. "Der jüngste Vorfall ist natürlich tragisch, aber auf der anderen Seite sind derartige Übergriffe in den vergangenen Jahren aufgrund gesetzter Maßnahmen bereits stark zurückgegangen", erklärt man hier.

Außerdem habe die Gewerkschaft keinerlei Verhandlungs-Puffer zugelassen. "Es gab nicht einmal eine Chance, entsprechende Gespräche zu führen. Da wird einfach der Verkehr lahmgelegt und die Stadtregierung lässt man deppert stehen", macht auch ein Rathaus-Insider seinem "rger Luft. Und auch er kritisiert, dass die Gewerkschaft nicht strategisch vorgegangen ist. "Man darf schließlich nicht vergessen, dass so eine Aktion auch der FPÖ Tür und Tor öffnet, um einmal mehr in der Bevölkerung Angst zu schüren und nach einer eigenen U-Bahn-Polizei zu schreien."

Auch Bürgermeister Häupl verwies am Dienstag in seinem wöchentlichem Pressegespräch auf die bereits zurückgegangene Anzahl an Übergriffen und plädierte dafür, die Sicherheitsmaßnahmen für Mitarbeiter wie die Videoüberwachung der Stationen und abgetrennte Fahrerkabinen in Straßenbahnen schneller umzusetzen. Denn diese hätten sich schon bewährt: Von 2012 auf 2013 habe sich die Anzahl der Übergriffe bereits um 23 Prozent reduziert, insgesamt habe es im vergangenen Jahr 77 Vorfälle gegeben.

"Die Maßnahmen sind bereits eingeleitet, jetzt sollen sie beschleunigt werden", so Häupl. "Denn natürlich ist jeder Übergriff einer zu viel." Neue Straßenbahngarnituren sind bereits ausschließlich mit abgetrennten Fahrerkabinen ausgestattet. Häupl hofft, dass die Um- und Aufrüstung innerhalb der Verkehrsbetriebe bis 2016 abgeschlossen ist.

Der Wiener ÖVP-Chef Manfred Juraczka sprach sich am Dienstag ebenfalls gegen die von der Gewerkschaft gewählte Form des Protests aus: "Der Kampf für mehr Sicherheit in den U-Bahnen soll nicht auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen werden. Die Forderungen nach mehr Sicherheit sind legitim, ein De-facto-Lahmlegen des öffentlichen Verkehrs über mehrere Stunden ist aber definitiv das falsche Mittel." Er wünschte sich stattdessen eine Aufstockung der Wiener Bereitschaftspolizei in den U-Bahnen von 150 auf 200 Personen.

Einzig die FPÖ begrüßte den frühmorgendlichen Stillstand - und forderte prompt die Einführung einer "Öffi-Polizei" sowie eine "leichte Bewaffnung" für die Bus- und Straßenbahnlenker, etwa in Form von Pfeffersprays.

Solidarisches Pfeifen

Die ÖBB-Lokführer beklagen im Übrigen ebenfalls gewalttätige Übergriffe auf das Zugpersonal - Betriebsversammlungen will man deswegen allerdings nicht abhalten. Vielmehr hat die Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida am Dienstag dazu aufgerufen, die Kollegen der Wiener Linien in der Früh mit einem solidarischen Pfeifkonzert zu unterstützen: Die ÖBB-Triebfahrzeugführer in Wien sollen heute, Mittwoch, um 6.30 Uhr die Makrofone der Lokomotiven mit Signal "Achtung" eine halbe Minute lang erschallen lassen. Eine Maßnahme, die der kritische Mitarbeiter der Wiener Linien wohl als Florett bezeichnen würde.