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Flucht aus dem Gelobten Land

Von Jan Richard

Politik

Israelische Investitionen in den Reformstaaten Osteuropas sind zwar nichts Neues. In den letzten Monaten hat sich dieser Trend jedoch deutlich verstärkt. Die alltägliche Terrorgefahr treibt auch immer mehr israelische Staatsbürger zur Flucht aus dem Gelobten Land, zurück in die alten Heimatländer.


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Wer in den letzten Monaten die Immobilienanzeigen in den Zeitungen der osteuropäischen Reformstaaten aufmerksam gelesen hat, dem kann es nicht entgangen sein: Immer öfter werden Wohnungen und Büros gesucht, wobei als eine P. O. Box in Israel als Interessenten-Adresse angegeben ist. Gleichzeitig, so die "Jerusalem Post", werden in Israel immer mehr Immobilien zum Verkauf angeboten und es ist zu vermuten, dass damit Ankäufe im Ausland finanziert werden sollen.

Bei einer Immobilienkonferenz, die im Frühjahr dieses Jahres in Polen abgehalten wurde, wurde dieser Umstand de facto bestätigt. So wurde etwa vom Immobilienentwicklungsbeauftragten der Stadt Krakau, Jakub Poszczola berichtet, dass sich Gruppen orthodoxer Juden in mehreren großen polnischen Städten, einschließlich Krakau, konkret nach Niederlassungsmöglichkeiten umgeschaut haben. Auch israelische Firmen haben Aufträge gegeben.

"Polen sicherer als Israel"

"Jeder weiß, dass im Fall eines gewalttätigen Konflikts in einem Land sich Investoren woanders umschauen, um der ungewissen Zukunft im Heimatland zu entfliehen," kommentiert dazu, laut dem "Warszawa Biznes Journal" Tomasz Zgoda. Und ergänzt: "Zweifelsohne ist es heute sicherer in Polen als in Israel zu investieren." Und er verweist auf den Umstand, dass in Polen der "return of investment" in der Regel höher ist als in Westeuropa, wo die Märkte bereits weitgehend gesättigt sind. "Außerdem ist natürlich die bevorstehende EU-Mitgliedschaft ein weiterer Anreiz."

Obwohl die Statistik für das heurige erste Halbjahr noch nicht bekannt ist, sprechen die Zahlen aus dem Vorjahr, als die Intifada in Israel bereits ihre blutige Ernte hielt, eine deutliche Sprache: 43.476 israelische Staatsbürger suchten 2001 um eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung in Polen an, 34 um eine dauernde.

Immobilienentwickler GTC

Polen, das leider auch rechtsradikale und antisemitische Gruppierungen kennt, ist allerdings schon seit Jahren ein bevorzugtes Land israelischer Investoren. Globe Trade Center (GTC), 1994 registriert, ist heute einer der größten Immobilienentwickler im Land an der Weichsel. An GTC hält die israelische Nobelgo, gemeinsam mit der Deutschen Bank, Adria und der amerikanischen Citibank Anteile.

Israelische Immobilienfirmen finden die osteuropäischen Märkte schon deswegen besonders attraktiv, weil die Zinsen für Investitionskredite in der Heimat bei 8 bis 9 Prozent liegen, während sie in den osteuropäischen Reformstaaten für Immobilenkäufe zwischen 2 und 4 Prozent betragen.

In der Tschechischen Republik ist es ähnlich wie in Polen. "Die Zahl der Israelis, die um Visa bzw. temporäre Aufenthaltsgenehmigungen ansuchen, hat sich in den letzten drei Jahren jedes Jahr verdoppelt," weiß etwa die tschechische Konsulin in Tel Aviv zu berichten. Davon sind zwei Drittel russische Juden, die in der letzten Dekade aus der Sowjetunion bzw. Russland ausgewandert sind: "Sie verlassen Israel, weil sie sich nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch bessere finanzielle Möglichkeiten erhoffe," so Ivana Zuntova. Das trifft auch in der Tat zu. So hat etwa erst Anfang Juni die israelische Baufirma Shikun u'Binui vom tschechischen Transportminister Jaromir Schling den Auftrag erhalten, die 80 Kilometer Autobahn zwischen Ostrau (Ostrava) und der polnischen Grenze zu bauen. Die Firma hat auch bereits Wohnblöcke und Bürogebäude in der Tschechischen Republik errichtet.

Shopping-Mall in Prag

Auch Africa Israel Investments Ltd. ist eine Holding im israelischen Besitz, die sich zunehmend auf Osteuropa (inklusive Baltikum und Russland) konzentriert. In Prag wurde von ihr etwa eine riesige Shopping-Mall (ähnlich der Ramat Aviv) gebaut.

Im vergangenen Jahr haben die israelischen Direktinvestitionen in Tschechien 20 Millionen US-Dollar betragen. Nicht eben viel, doch die Tendenz ist stark steigend. Die zahlenmäßig geringe Summe täuscht allerdings: Neben Immobilien- und Bautätigkeit haben sich vor allem israelische Software-Firmen nicht nur in Tschechien, sondern auch in Lettland, Rumänien, Bulgarien und Ungarn etabliert. Das erfordert keine hohen Summen, bringt aber viel, sowohl dem Investor als auch dem Land, in dem investiert wird.

Dass Israelis, trotz der rechtsradikalen Sladek-Partei in Tschechien, trotz des offenkundigen Rassismus gegen Roma, trotz des versuchten Drucks von "Mein Kampf" in tschechische Sprache, sich an der Moldau niederlassen wollen, erklärt Pavel Pseja, Politologe an der Universität Brünn, so: "Ja, alle diese negativen Phänomene gibt es bzw. hat es gegeben. Aber in Wahrheit gibt es in Tschechien eine lange Tradition friedlicher und fruchtbarer Koexistenz zwischen Juden und Tschechen. Und man darf auch nicht vergessen - es ist jetzt die dritte oder vierte Generation von Israelis nach dem Holocaust."

Ansiedlung in Ungarn

In Ungarn sind es vor allem israelische Firmen, die ihr Interesse am Pußtaland entdeckt haben. "Ich bin in ständigem Kontakt mit einer Reihe von Israelis und israelischen Firmen, die sich in Ungarn sich ansiedeln wollen," berichtet Georgette Avrush von der israelischen Immobilienentwicklungsfirma Sabor. Nach seinen Worten ist sowohl seit dem Aufflammen der zweiten Intifada als auch nach dem 11. September offenkundig geworden, dass nun verstärkt nach Investitionsmöglichkeiten im Ausland (Osteuropa eben eingeschlossen) gesucht wird, weil die wirtschaftliche Lage in Israel zunehmen kritisch wird.

Gerade die russischen Juden, die dem Gelobten Land zumindest temporär den Rücken kehren wollen, haben es freilich schwer. Sie sind meist mittellos ins Land gekommen und haben daher finanzielle Starthilfen erhalten, die ihnen großzügig vom Staat gewährt wurden - unter der Bedingung allerdings, dass sie zurückgezahlt werden müssen, wenn man Israel wieder verlässt.

Viele russische Juden haben darüber hinaus auch "Mashkanta" genommen, eine günstige Hypothek, die es ihnen erlaubt hat, sofort eine Wohnung in Israel zu erwerben (was normalerweise ein paar hunderttausend Dollar kostet).

Schwere finanzielle Opfer

Dennoch wird die Lage von den russischen Juden, die sich vor allem im Inneren Israels und nahe Jerusalem niedergelassen haben, so ernst eingeschätzt, dass sie - wie das tschechische Beispiel zeigt - auch schwere finanzielle Opfer auf sich nehmen.