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Flucht nach vorne

Von Lydia Ninz

Gastkommentare
Lydia Ninz ist Mobilitätsexpertin beim Verbraucherschutzverein (VSV) und Wirtschaftsjournalistin mit eigenem Blog (www.lydianinz.at).
© privat

VW braucht keine negativen Schlagzeilen mehr über Dieselautos.


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In Deutschland starten jetzt Vergleichsverhandlungen mit VW im Musterfeststellungsverfahren, von denen auch 1100 Österreicher und Südtiroler profitieren können, die mit Hilfe des Verbraucherschutzvereins (VSV) mittun. Dass VW jetzt versucht, mithilfe von Vergleichen reinen Tisch in Sachen Abgasskandal zu machten, ist die reine Flucht nach vorne und aus drei Gründen zu erwarten:

Erstens sind mit Silvester die meisten Ansprüche für 2,5 Millionen Autos in Deutschland und 400.000 in Österreich verfallen, ausgenommen jene, die vor Gericht gezogen sind. Und für VW ist es billiger und schneller, sie mithilfe von Vergleichen vom Tisch zu kriegen.

Zweitens ist für Anfang Mai ein Verfahren gegen VW vor dem Höchstgericht in Karlsruhe fixiert. Sollen die Wolfsburger, wie es aussieht, verurteilt werden, müssten sich alle anderen Gerichte daran halten. Auch das spricht dafür, sich im Vorfeld rasch zu vergleichen.

Drittens braucht VW keine negativen Schlagzeilen mehr über Dieselautos. Um die strengeren CO2-Flottenziele für 2020 erfüllen zu können, muss der Konzern in diesem Jahr möglichst viel Dieselautos verkaufen, die ja weniger CO2 ausstoßen als Benziner. Denn mit E-Autos, die den CO2-Flottenvergleich ebenfalls drücken, sind die Wolfsburger noch nicht so weit. Erst zur Jahresmitte werden sie ihren ersten echten Batterien-Golf, den ID.3, in größerem Umfang anbieten können, gegen Ende des Jahres den schwereren.

Mit so einem Vergleich in Braunschweig ist für den Konzern das "Dieselthema" - wie es in der konzerneigenen Sprachregelung verniedlichend heißt - allerdings noch nicht erledigt. Der Vergleich bezieht sich ja nur auf die erste Welle der Betrugsdiesel, die im September 2015 aufgeflogen ist. Also auf Pkw der Kompaktklasse (1,2, 1,6 und 2 Liter Hubraum), die zwischen 2010 und 2015 verkauft wurden, mit dem Betrugsmotor EA 189 ausgestattet sind und zur Abgasnorm Euro 5 gehören. Nicht betroffen sind alle Autos, die erst im Laufe der Jahre 2017 bis 2019 zurückgerufen wurden. Das sind in erster Linie die große Oberklasse-Audis mit 3 Liter Hubraum oder darüber, die seit 2003 gebaut und noch bis 2017 (nach Platzen des Skandals) verkauft wurden und den Abgasnormen Euro 4 oder Euro 6 angehören. Hier wird es noch spannend, auch weil weitere Rückrufe in der Pipeline für 2020 liegen.

Zu hoffen ist jedenfalls, dass der zu erwartende Vergleich in Deutschland nicht so mickrig ausfällt wie jener in Österreich für die Polizeiautos. Selbst wenn VW an die Republik für mehr als 2000 Polizeiautos 2 Millionen Euro gezahlt haben sollte, wären das 1000 oder 1200 Euro pro Auto. Besser als nichts, aber weit entfernt von den 6000 Euro Schadenersatz pro Auto, den der Verein für Konsumentenschutz bei seinen Sammelklagen eingefordert hatte und der 20 Prozent Wertverlust pro Auto entspricht.

Der VSV drängt mit Nachdruck auf die Herausgabe des Gutachtens, das der Republik den Sieg gegen VW gebracht hat. Es soll auch jenen gut 20.000 VW-Opfern helfen, die sich als Privatbeteiligte dem Strafverfahren angeschlossen haben. Mal sehen, wie ernst die neue Regierung das Thema Transparenz in dieser Causa nimmt.