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Selbstmordattentate vor überlaufenen Diskotheken, in Kaffeehäusern, bei Busstationen und auf offener Straße: Kaum ein Ort des öffentlichen Lebens in Israel, der nicht schon blutiger Schauplatz eines Anschlags geworden wäre, kaum ein Tag, an dem nicht die Horrorbilder von getöteten oder verletzten israelischen Zivilisten über die Fernsehschirme flimmern. Erschütterung, Verzweiflung und Hass auf die Palästinenser sind die Folge. Wie Umfragen belegen, sind es nicht wenige Israelis, die die Gesamtheit der palästinensischen Bevölkerung am liebsten ein für allemal los wären. Einfach "weghexen" oder irgendwo anders, am besten möglichst weit weg, ansiedeln, das sind die Fantasien vieler, die an eine politische Lösung des Nahost-Konfliktes nicht mehr glauben wollen.
Die Selbstmordanschläge drücken mittlerweile auch dem Alltag in Israel ihren Stempel auf. In Jerusalem ist die Angst vor Attentaten so groß, dass viele Menschen sich ihre Restaurants nicht mehr nach der Qualität des angebotenen Essens, sondern nach ihrem Vertrauen in die Wachposten aussuchen - wenn man überhaupt noch einen Fuß vor die Haustüre setzt: "Männlichkeit beweist man jetzt, indem man abends zum Essen geht, und die Tollkühnen sitzen im Cafe", so der israelische Soziologe Nathan Sznaider. Wer an zentralen Verkehrsknotenpunkten in den Bus einsteigen will, muss zunächst Schlange stehen: Jeder Fahrgast wird peinlichst genau nach Waffen untersucht, jede Tasche geöffnet, jeder Koffer von polizeieigenen Scannern durchleuchtet.
Vielerlei Möglichkeiten
Wen wundert es da, dass sich viele Menschen angesichts dieser Umstände einfach zurückziehen: Promenaden leeren sich ebenso wie die Fußballstadien, die Diskos und Bars des Tel-Aviver Stadtteils Jaffa klagen über mangelndes Publikum. Man flüchtet in die eignen vier Wände, Internetanbieter und Kabelfernsehen freuen sich seit einiger Zeit über ein Umsatzplus. Andere gehen den umgekehrten Weg und ziehen in die weite Welt, wollen die krisengeschüttelte Heimat wenigstens einige Wochen hinter sich lassen - neuester Trend sind Indien-Trips. Manch einer verschanzt sich hinter einer verklärten Vergangenheit: Seit Beginn der zweiten Intifada überschwemmen Nostalgie-Bücher die Regale der Buchhandlungen. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich derzeit die Werke, die die Kolonialzeit preisen und vom heroischen Krieg um die Unabhängigkeit handeln. Ein weiterer Trend, der den israelischen Polizeibehörden allerdings zunehmend Sorge bereitet, ist der massiv angestiegene Drogenkonsum. Besonders die Einnahme der Designerdroge Ecstasy hat während der letzten Monate beängstigende Dimensionen erreicht. Marktführer bleibt aber Marihuana: "Israel ist, was weiche Drogen angeht, mittlerweile mit New York zu vergleichen", so Schlomo Gal vom israelischen Drogeninstitut. Untersuchungen belegen, dass 30 Prozent der Studenten in Tel Aviv bereits mit Drogen experimentiert haben, jeder zehnte Erwachsene hat sich im vergangenen Jahr öfter als einmal dem Rauschgift hingegeben.
Wenn trotzdem alles ausweglos erscheint, gibt es noch eine Alternative, die eigene Ohnmacht zumindest zeitweilig auszutricksen: Den Sarkasmus. Folgender Witz kursiert derzeit in Israels Kaffeehäusern:
Ein Palästinenser beschwert sich bei einem israelischen Bekannten über die hohen Steuern und die Korruption im Autonomiegebiet. Worauf ihn der Israeli mit dem Hinweis tröstet, dass er schon 50 Jahre unter diesen Bedingungen leidet. "Wir fangen aber erst an", so der Palästinenser verzweifelt, "ihr dagegen könnt bald schon aufhören".