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Der Breitenfurter Landwirt Nikolaus Krischke hat seit einiger Zeit vier neue Mitbewohner.
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Breitenfurt. In der Wienerwaldgemeinde Breitenfurt im Bezirk Mödling leben derzeit neun Flüchtlinge in privaten Quartieren. Mitte November sollen in dem 6000-Einwohner-Ort Containerwohnungen auf einem Caritas-Grund bei einem Altenzentrum errichtet werden. 48 Menschen beziehen die neuen Schlafplätze. Die Hälfte des Wohnraums ist für minderjährige Flüchtlinge vorgesehen. Eine wichtige Maßnahme. Denn angesichts der immer kühleren Temperaturen drängt die Zeit. Knapp 3000 Flüchtlinge waren zuletzt noch immer in nicht winterfesten Quartieren untergebracht.
Am Freitag machte der Bund deswegen erstmals von seinem Durchgriffsrecht zur Quartiererrichtung Gebrauch. Konkret soll im Kärntner Althofen (Bezirk St. Veit) ein Containerdorf für 150 Menschen entstehen. In der Gemeinde Ossiach (Bezirk Feldkirchen) ist ein Verteilerzentrum geplant. Auch in der Gemeinde Steyregg (Bezirk Urfahr-Umgebung) in Oberösterreich werden Unterkünfte errichtet. Es liegen aber noch keine konkreten Pläne vor. 15 weitere Gemeinden sollen noch kontaktiert werden, heißt es aus dem Innenministerium.
"Sprung ins kalte Wasser"
Zurück nach Breitenfurt. Dort musste der Bund bisher nicht eingreifen. Bürgermeister Ernst Morgenbesser (ÖVP) sieht es als Selbstverständlichkeit an, einen Beitrag in dieser Flüchtlingskrise zu leisten. "48 Personen sind weniger als ein Prozent unserer Hauptwohnsitzer", sagt Morgenbesser. "Breitenfurt steht den neuen Mitbewohnern bisher positiv gegenüber. Wir werden das meistern."
Morgenbesser hofft nur, dass die Stimmung bis zur Besiedlung nicht kippt. Durch die Oberösterreich-Wahlen sei das Thema wieder hochgekocht: "Die Menschen sind besonders sensibilisiert." Für die Quartiersuche in Breitenfurt hat sich sogar eine eigene Privatinitiative gegründet. Das Wohn- und Integrationsnetzwerk (WIN) macht es sich zur Aufgabe, mit den Breitenfurtern zu sprechen, ihnen die Angst zu nehmen und die neuen Einwohner in den Alltag zu integrieren.
Vier der neun Flüchtlinge in Breitenfurt, drei Afghanen und einen Syrer, hat der Landwirt Nikolaus Krischke auf seinem Biobauernhof untergebracht. "Es ist nicht immer einfach, man hat mitunter Kommunikationsschwierigkeiten", sagt Krischke. Der Landwirt möchte auch nichts beschönigen. Momentan habe er das Gefühl, es gebe zwei Lager: die Helfenden, die von einem Teil der Bevölkerung verächtlich als "Gutmenschen" bezeichnet würden, und die anderen, die das linke Lager politisch rechtsaußen sieht, die besorgt fragen, wo all diese Menschen hin sollen.
Bei der letzten Gemeindeversammlung habe Krischke gemerkt, dass es den Breitenfurtern um die Kosten ginge. Für ihn ist aber klar: "Wäre ich auf der Flucht, ich wäre auch froh, wenn mich jemand aufnimmt und mir hilft." Krischke steht den jungen Männern bei Fragen zu Behördengängen zur Seite, er erklärt ihnen, was sie zu erwarten haben, und spricht Deutsch mit ihnen. "Sie brauchen eine Bezugsperson", sagt er. Krischke hat Regeln aufgestellt: Ordnung halten, Müll trennen, im Haus nicht rauchen, ab 22 Uhr herrscht Nachtruhe. Die jungen Männer halten sich daran. "Es ist ein Sprung ins kalte Wasser", sagt der Landwirt. "Aber wir haben die humanitäre Pflicht, diesen Menschen zu helfen."
Flucht vor den Taliban
Khalad aus Syrien wohnt erst seit März bei Krischke. Die Afghanen sind schon länger da, und sprechen schon gut Deutsch. Etwa der 21-jährige Abdullah. Dessen Vater war Politiker in Kabul, bis die Taliban ihn warnten: Entweder du arbeitest mit uns zusammen oder wir bringen deine Familie um. Abdullahs Eltern und Geschwister flohen nach Deutschland, Abdullah, damals gerade 18 Jahre alt, wurde in Österreich aufgegriffen und stellte einen Asylantrag. Seit zwei Jahren wartet er auf seinen Asylbescheid. Er würde gerne eine Lehre anfangen, vielleicht als Maler und Anstreicher.
Der um ein Jahr ältere Afghane Hamed hat bereits Asyl in Österreich erhalten. Auch er floh vor der Gewalt der Taliban, die seine Schwester mit einem Kämpfer verheiraten wollten. Sie floh in eine andere Stadt, Hamed schaffte es nach Europa. Im Moment macht er einen Vorbereitungskurs am AMS. Danach strebt er eine Mechanikerlehre an.
Mit 18 Jahren ist Fawad der Jüngste in der Gruppe. In Afghanistan hatte er Alkohol und DVDs auf der Straße verkauft, bis die Taliban ihn ertappten, einsperrten und folterten. Nach einigen Tagen gelang Fawad die Flucht zu seinem Onkel in eine andere Stadt. Aber auch dort war er nicht sicher. Über Kabul, den Iran, die Türkei und Griechenland ging es für ihn schließlich nach Mazedonien und von dort weiter nach Europa. Seit einem Jahr lebt er in Breitenfurt. In Afghanistan war Fawad Ringer. Er würde dem Sport gerne wieder öfter nachgehen. Doch ihm fehlt das Geld für den Mitgliedsbeitrag für einen Kampfsportverein in Wien.
Was würden Fawad, Abdullah und Hamed den Menschen sagen, die Angst haben, dass sie gewalttätig sind? "Es gibt wie überall anders auch bei uns in Afghanistan gute und schlechte Menschen." Alle Afghanen würden in Frieden leben, Arbeit finden und zur Schule gehen wollen. "Wir möchten den Schrecken in Afghanistan nie mehr erleben."