Die Zahl der arbeitenden Syrer, Afghanen, Iraner und Iraker hat sich in zwei Jahren verdoppelt. An der Uni Wien wird untersucht, wie die Flüchtlinge zu Jobs kommen und wo sie arbeiten.
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Wien. Genau zu jener Zeit, als rund 100.000 Flüchtlinge nach Österreich zogen, hing das heimische Wirtschaftswachstum gerade in den Seilen. Es war die Zeit, als nach zunächst erfolgreicher Krisenbewältigung die Konjunktur nicht und nicht anspringen wollte und die Zahl der Arbeitslosen immer weiter stieg. Und genau dann kamen 100.000 nach Österreich, die nach ein paar Jahren einen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden sollten. Wie sollte das gehen?
Zuerst aber mussten ohnehin erst die Asylverfahren abgewickelt werden, denn nur wer "asylberechtigt" ist oder subsidiären Schutz erhält, darf auch arbeiten. Und genau das passierte in den Jahren danach. Nach und nach stieg also das Arbeitskräftepotenzial unter den Geflüchteten.
Das Arbeitsmarktservice (AMS) hatte damals die Prognose abgegeben (bzw. aus Deutschland übernommen), wonach in fünf Jahren 50 Prozent eine Arbeitsstelle gefunden haben sollten. Diese fünf Jahre sind noch nicht vergangen, bisher liegt man jedenfalls über den Erwartungen. Um den Erfolg zu messen, hat sich das AMS zwei Gruppen von Geflüchteten genau angesehen. Die eine erhielt 2015 Zugang zum Arbeitsmarkt, die andere 2016.
Es ist wenig überraschend, dass die Beschäftigungsquote bei der ersten Gruppe etwas höher ist, diese Flüchtlinge kamen meist früher, sie hatten daher mehr Zeit, einen Arbeitsplatz zu finden. Für März 2019 weist die erste Kontrollgruppe einen Anteil von fast 40 Prozent aus, die bereits eine Beschäftigung gefunden haben. Bei der zweiten Gruppe sind es 34,4 Prozent. Ob dieser recht kontinuierliche Anstieg auch in den kommenden Jahren so fortgeschrieben werden kann, ist dadurch allerdings nicht gesagt.
Erstens trübt sich laut Prognosen die Konjunktur ein, zweitens wurden dem AMS Mittel für Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration gekürzt, und drittens ist auch unsicher, wie viele am Ende tatsächlich langfristig Fuß fassen können. Dazu gibt es bisher keine Studien. Was man weiß: Unter Geflüchteten ist die psychische und körperliche gesundheitliche Situation weitaus schlechter als bei anderen Bevölkerungsgruppen.
Netzwerke sind bei Job-Sucheentscheidender Faktor
An der Universität Wien wird seit geraumer Zeit über die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen geforscht. Geleitet wird das Projekt von den Soziologen Bernhard Kittel und Roland Verwiebe, der kürzlich an die Uni Potsdam wechselte. Finanziert wird das seit 2016 laufende Projekt von der Österreichischen Nationalbank.
Die Erkenntnisse der Forscher, die auf einer Umfrage unter 1000 Geflüchteten sowie auf qualitativen Interviews von 35 Asylberechtigten basieren, weisen auf einen ganz zentralen Aspekt hin, der für die Politik von Bedeutung sein kann. Die meisten, nämlich 43 Prozent der Befragten, suchten zwar über das AMS einen Job (das ist auch die Voraussetzung, um Sozialleistungen zu beziehen), fündig wurden über diese Einrichtung aber nur 15 Prozent.
Weitaus erfolgreicher war die Suche über Freunde aus Österreich mit 37 Prozent. "Netzwerke sind für den Einstieg entscheidend", sagt Studienautor Verwiebe. "Gerade Afghanen sind sehr gut vernetzt". Genau hierin steckt die Relevanz für die diversen politischen Ebenen, also sowohl für die Bundesebene, aber auch für die lokale, kommunale Ebene. "Wenn man Interesse an Integration hat, sollte man zivilgesellschaftliche Akteure unterstützen", sagt Verwiebe. Auch die eigenen ethnische Netzwerke sind oft hilfreich.
"Österreich hat Traditionbei Einwanderung"
Dass die Integration bisher recht gut funktionierte, habe auch etwas mit der jüngeren Geschichte Österreichs zu tun, sagt Verwiebe: "Österreich hat eine Tradition bei der Einwanderung, es gibt viele Erfahrungen, auch in der öffentlichen Verwaltung. Auch wenn es manche überrascht: Österreich ist international ein gutes Beispiel für Integration", sagt Verwiebe.
Weniger unerwartet ist die Tatsache, dass die Flüchtlinge in großer Zahl Jobs im Dienstleistungsbereich gefunden haben. "Dort sind auch die Löhne am niedrigsten", so Verwiebe. Seine Forschungen beruhen zwar auf (nicht repräsentativen) Umfragen, aber sie werden auch von den Statistiken des Sozialministeriums gestützt.
Im Jahr 2018 haben im Durchschnitt 20.883 Personen aus den vier wesentlichen Fluchtländern Syrien, Iran, Irak und Afghanistan gearbeitet. Das sind doppelt so viele wie noch zwei Jahre davor. Auch bemerkenswert: Während früher noch klassisch die Bauwirtschaft von zentraler Bedeutung für Flüchtlinge war, ist dies heute nicht mehr der Fall. Lediglich 5 Prozent sind am Bau beschäftigt, dafür mehr als 20 Prozent in der Gastronomie und 15 Prozent im Handel. Sogar im Gesundheitsbereich sind mittlerweile mehr Personen aus diesen Ländern beschäftigt als am Bau.
Den Weg in die Selbständigkeit fanden nur ganz wenige. Zuletzt, im März 2019, waren 460 Afghanen selbständig gemeldet, etwas mehr Syrier und Iraner, wobei Letztere schon eine längere Historie in Österreich haben. Unter diesen Selbständigen finden sich freilich auch jene, die freiberuflich als Boten, Zusteller oder Zeitungsausträger arbeiten. Das sind keine klassischen Selbständigen.
Hürden fürSelbständigkeit
In anderen Ländern bietet dagegen gerade die Selbständigkeit neu zugewanderten Personen große Chancen. "Es gibt aber in Österreich starke Kammern und Zutrittshindernisse", erklärt Verwiebe. Es braucht meistens eine Gewerbeberechtigung, die man nicht so leicht erwerben kann, wenn man keine Ausbildung in Österreich absolviert hat.
Rasch einen Fuß auf den Arbeitsmarkt zu bringen, ist freilich das eine. Dort langfristig auch bestehen zu können, etwas anderes. So haben die Forscher auch herausgefunden, dass beim Einstieg Kenntnisse der deutschen Sprache sogar überschätzt werden. Freilich, weit kommt man ohne Deutsch dann nicht. Und auch diese Erkenntnis ist für die Politik relevant: Nicht nur die Frage des Einstiegs ist wichtig, sondern auch die langfristige Perspektive.
Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck will aus dem Pool von Asylberechtigten Lehrlinge gewinnen. Im Westen Österreichs besteht eine Lücke zwischen den offenen Stellen und Interessierten. Und es wäre auch für die Flüchtlinge besser, einige Jahre in eine Ausbildung zu investieren, als ewig in unqualifizierten Jobs zu verbleiben. Aber können sich die Afghanen und Syrer dies leisten? Können sie über Jahre auf ein höheres Einkommen als bei der Lehrlingsentschädigung verzichten? "Das ist schwierig", sagt Verwiebe. Es stelle sich die Frage, ob Geflüchtete über ausreichend Ressourcen dafür verfügen.
"Das sind alles individuelle Entscheidungen, das lässt sich nicht pauschalisieren", sagt Verwiebe. Auch diese Frage, nämlich wie man Anreize für die Lehre statt einem Hilfsjob setzt, ist für die Politik von Relevanz. Zumindest, wenn sie ein Interesse daran hat, dass die Syrer, Afghanen, Iraner und Iraker langfristig auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen.