)
Gastbeitrag: Der Geschäftsführer des Österreichischen Presserats über Ethikverstöße heimscher Medien. | Und eine neue Checkliste "Verantwortungsvoller Journalismus in der Flüchtlingsberichterstattung".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Die Verbreitung von Gerüchten über Asylwerber, die Supermärkte stürmen, Ehrenmorde und Blutfehden, die muslimischen Zuwanderern zugeschrieben werden, und das Bild eines toten syrischen Flüchtlingskindes am Strand - das sind nur einige der Themen, mit denen sich der Presserat, die Selbstkontrolleinrichtung der österreichischen Printmedien, in den letzten Monaten aufgrund von Leserbeschwerden beschäftigt hat.
Von Juni 2015 bis November 2016 hat der Presserat insgesamt 443 Beschwerden erhalten, davon 97 zu Artikeln über Flüchtlinge. In 19 dieser 97 Fälle hat der Presserat einen Ethikverstoß festgestellt. Die Bevölkerung diskutiert die Flüchtlingsthematik emotional und kontrovers. Medien können zur Versachlichung des Themas beitragen, aber auch Ängste schüren und Ressentiments fördern. Selbstverständlich sind auch kritische Berichte über Flüchtlinge möglich. Da das Thema von großem öffentlichem Interesse ist, reicht die Meinungsfreiheit sehr weit. Werden Flüchtlinge aber pauschal verunglimpft oder ihre Persönlichkeitsrechte verletzt, kann der Presserat eingreifen. Grundlage der Entscheidungen, die in erster Linie Mahn- und Appellcharakter haben, ist der "Ehrenkodex für die österreichische Presse".
Ein Fall, der viel Aufmerksamkeit erregt hat, betrifft einen Kommentar in der Steiermark-Ausgabe der "Kronen Zeitung", in dem behauptet wird, dass sich junge testosterongesteuerte Syrer aggressive sexuelle Übergriffe leisten und Afghanen in ÖBB-Waggons Sitze aufschlitzen würden. Horden würden die Supermärkte stürmen und sich nehmen, was sie wollen. Der Autor hat die geschilderten Vorfälle nicht überprüft, sondern bloß Gerüchte aus dem Internet wiedergegeben. Der Presserat hat darin Verstöße gegen die Punkte 2 (gewissenhafte Recherche) und 7 (Schutz vor Pauschalverunglimpfungen und Diskriminierung) des Ehrenkodex gesehen. Sogar die "Kronen Zeitung" hat sich von dem Artikel distanziert. Mittlerweile läuft gegen den Autor ein Strafverfahren wegen Verhetzung.
Einen kritischen Kommentar über männliche junge Flüchtlinge in der Tageszeitung "Die Presse" hat der Presserat dagegen nicht verurteilt. In dem Kommentar heißt es, dass der Testosteronüberschuss der jungen Flüchtlinge auch Probleme bereiten könnte und nur eine Minderheit von ihnen säkulare Moslems seien. Der Presserat hat diese Aussage, die die Autorin auch mit Fakten untermauert hat, im Rahmen der Meinungsfreiheit zugelassen.
Ein schwerwiegender Fall von Diskriminierung hat sich in einer regionalen Gratis-Wochenzeitung zugetragen. In einem Beitrag wird ein "US-Militärstratege" zitiert, der die Meinung vertritt, dass die europäische Bevölkerung "durch Einwanderer aus der Dritten Welt" zu einer "hellbraunen Rasse" vermischt werden solle, die "zu dumm zu begreifen, aber intelligent genug, um zu arbeiten" sei. Der Verfasser hält abschließend fest, dass die Menschen der Flüchtlingswelle daher zu Recht sorgenvoll entgegenblicken. Nach Meinung des Presserats hat sich der Journalist dadurch mit den diskriminierenden Aussagen identifiziert.
Erst vergangene Woche hat der Rat zudem einen Kommentar in einer Beilage des Magazins "News" gerügt. Der Autor des Kommentars ist der Ansicht, dass muslimische Zuwanderer nicht das geringste Interesse für Aufklärung und Hochtechnologie zeigen. Eine weitere seiner diskriminierenden Aussagen: Sehr viele Zuwanderer seien "geradezu wütend erpicht darauf, ihre Form von Kultur von der Kleidung über die Küche bis zum Ehrenmord an den weiblichen Familienangehörigen und zur Blutfehde mit Andersdenkenden in Mitteleuropa fortzusetzen." Bei dieser Entscheidung hat es eine wichtige Rolle gespielt, dass der Autor alle bzw. sehr viele Muslime mit seinen negativen Zuschreibungen bedacht hat. Den - wenn auch harten - Vergleich der Flüchtlingsbewegungen mit einem "Tsunami" hat der Presserat hingegen nicht als diskriminierend und daher als unbedenklich eingestuft: Die Schlagzeile "Flüchtlings-Tsunami spült Gesetz weg" in einer FPÖ-Parteizeitung sei eine Metapher für die große Zahl flüchtender Menschen und dafür, dass die bisherigen Asylregeln nicht eingehalten werden. Eine "Entmenschlichung" liegt laut Presserat noch nicht vor.
Noch eine eher strenge Entscheidung der Ethikwächter gab es zu Jahresbeginn: Auf der Titelseite der Wochenzeitung "Falter" ist anlässlich der sexuellen Übergriffe zu Silvester in Köln eine Zeichnung abgedruckt worden, auf der weinende Frauen von grimmigen Männern mit dunklen Haaren sexuell bedrängt werden. Nach Meinung des Presserats ist dadurch "ein Prototyp von Männern aus dem arabischen Raum" diskriminiert worden. Was spräche für die Zulässigkeit der Zeichnung? Die Kunstfreiheit und der Umstand, dass die Darstellung auf tatsächliche Geschehnisse in der Silvesternacht Bezug nimmt.
Um das Leid und das Schicksal von Menschen auf der Flucht und dem Schutz ihrer Persönlichkeit (Punkt 5 des Ehrenkodex) geht es in zwei weiteren Presserats-Entscheidungen. Die erste betrifft ein Foto, das tote Flüchtlinge in einem Lkw auf der A4 zeigt und von 180 Lesern beim Presserat beanstandet worden ist - ein absoluter Negativrekord. Der Presserat hat in der Foto-Veröffentlichung einen Verstoß gegen die Menschenwürde gesehen: Die toten Körper seien auf eine Art und Weise - verkeilt und in sich verhakt - gezeigt worden, die entstellend sei. Als angemessen hat der Presserat hingegen die Veröffentlichung des Bildes eines vor der türkischen Küste ertrunkenen Buben in der Zeitschrift "Profil" bewertet. Laut Presserat bringt das Bild die Dimension des Leids und die Gefahren, die Flüchtlinge erwarten, auf den Punkt und rüttelt auf. Im Gegensatz zu dem Bild mit den toten Flüchtlingen im Lkw sei dieses Bild auch nicht entstellend. Außerdem hat auch der Vater des Buben den Wunsch geäußert, dass das Bild verbreitet wird.
Da die Zuwanderung der Flüchtlinge nach wie vor eines der wichtigsten Themen in den Medien ist und uns dieses Thema auch weiterhin begleiten wird, hat der Presserat soeben die Checkliste "Verantwortungsvoller Journalismus in der Flüchtlingsberichterstattung" veröffentlicht. Sie ist eine Orientierungshilfe für die Praxis. Beim Verfassen eines Artikels sollen sich Journalisten unter anderem die folgenden Fragen stellen: Würde ich über ein Fehlverhalten auch dann berichten, wenn es nicht von einem Flüchtling gesetzt worden wäre? Habe ich das Thema ausreichend recherchiert, gehen meine Quellen über bloße (Internet-)Gerüchte hinaus? Habe ich geprüft, ob durch meine Berichterstattung Vorurteile verstärkt werden?
Eine ethische Herangehensweise an das Thema schließt eine kritische Auseinandersetzung nicht aus. Hoffentlich leistet die Checkliste einen Beitrag dazu, dass Journalisten über Flüchtlinge möglichst differenziert, sachlich und reflektiert berichten.
Zu den Autoren
Alexander
Warzilek
geboren 1975, studierte Jus in Graz und Athen. Er war Assistent an den Unis Graz und Luzern sowie Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften. Seit November 2011 ist er Geschäftsführer des Österreichischen Presserats.
Anna
Preiser
geboren 1988, studierte Preiser Internationale Entwicklung sowie IBWL mit dem Schwerpunkt Public- und Non-Profit-Management in Wien und Peru. Seit 2015 ist sie als Referentin beim Österreichischen Presserat tätig. Fotos:Presserat