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Flüchtlinge, Siedler und Frust über ständige Unterdrückung

Von Beate Schachner

Politik

Graz - Der Friedensaktivist und Rechtsberater in den palästinensischen Gebieten Andreas Prauhart sprach an der Grazer Uni über Ursachen des israelisch-palästinensischen Konflikts. Fast drei Jahre Mitarbeit bei internationalen Menschenrechtsorganisationen in Jerusalem haben Prauhart schon vor der aktuellen Eskalation einen illusionslosen Blick auf die israelisch-palästinensische Realität gelehrt.


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Prauharts Antwort auf Publikumsfragen nach dem politischen Ziel der israelischen Militäraktionen in den palästinensischen Städten ist ebenso eindeutig wie entmutigend: "Ich bezweifle, dass diese Aktionen ein friedensorientiertes Ziel verfolgen. Sharon war immer ein Gegner der Oslo-Friedensverträge. Jetzt aber geht es offensichtlich darum, diese Verträge nicht mehr nur zu untergraben, sondern alles, was während dieses ohnehin fragwürdigen Friedensprozesses etabliert wurde - also die gesamte politische und zivile Infrastruktur der Palästinenser - zu zerstören." In seinem Vortrag analysierte der Jurist jene seit Jahrzehnten ungelösten Probleme, die seiner Meinung nach den Nährboden der gegenwärtigen Eskalation bilden. "Eine der wesentlichen Ursachen", so Prauhart, "ist etwa die fortgesetzte, gegen internationales Recht verstoßende Gründung und Ausdehnung israelischer Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten. Seit Beginn des Oslo-Friedensprozesses hat sich die Zahl der israelischen Siedler im Westjordanland und im Gazastreifen von 110.000 auf 210.000 nahezu verdoppelt, dazu kommen noch 170.000 Siedler in Ost-Jerusalem." *

Völlig ungelöst sei auch die Frage der mehr als fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge. "Nach wie vor gibt es keine offizielle Anerkennung der Vertreibung von 1948 durch Israel - und das, obwohl zahlreiche israelische Studien belegen, dass es sich damals um eine gezielte Vertreibung von 750.000 Palästinensern, etwa 70 Prozent der damaligen einheimischen Bevölkerung, handelte."

Diese ursächlichen Probleme des über 100 Jahre alten Konflikts habe man in den Oslo-Friedensverträgen bewusst aufgeschoben. Israel andererseits habe mit diesen Verträgen für sich erwirkt, dass der ultimative politische Status der besetzten Gebiete so lange wie möglich aufgeschoben wurde und dass überdies "ein 'legitimierter' Rahmen geschaffen wurde, in dem man weiter die Politik der vollendeten Tatsachen - vor allem den Bau israelischer Siedlungen - betreiben konnte." Letztlich sei es auch während der Friedensgespräche vornehmlich darum gegangen, "die Palästinenser auf kleinem Raum zusammenzudrängen, dort zu kontrollieren und möglichst viel Land für die eigenen Siedlungen zu konfiszieren." So leben heute etwa auf 60Prozent des 40 km langen und durchschnittlich 8 km breiten Gazastreifens 1,2 Mio Palästinenser, auf den restlichen 40 Prozent rund 6000 israelische Siedler.

Diese Fakten machen deutlich, dass Sharons provokativer Besuch des Tempelberges bzw. die Tötung sieben unbewaffneter palästinensischer Demonstranten am nächsten Tag wohl der Auslöser, nicht aber der eigentliche Grund für den Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada im Herbst 2000 war.

Bitterkeit und Hass seien in der palästinensischen Bevölkerung aber nicht nur aus der permanenten Frustration durch diesen "Friedensprozess" erwachsen, sondern auch aus der täglichen Erfahrung der Unterdrückung: "Für die Menschen in den besetzten Gebieten gehört physische und psychische Gewalt zum Alltag: etwa durch die systematischen Hauszerstörungen - von 1967 bis 2000 wurden 6000 palästinensische Häuser zerstört, zwischen Herbst 2000 und dem heurigen Frühjahr 2.650 -, die permanente Angst, ohne Beweise verhaftet zu werden, die ständigen Kontrollen, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit durch häufige Ausgangssperren und "Abriegelungen", die damit verbundene extreme Arbeitslosigkeit etc." Eine Situation, die Gegengewalt provoziert, welche wiederum die Aggression der anderen Seite steigert. Wie soll sich, so die resignative Publikumsfrage, daraus ein Weg zu einem erträglichen Nebeneinander finden lassen? "Man sagt immer, Israelis und Palästinenser können nicht miteinander leben. Aber es gibt kein Miteinander", ist Andreas Prauhart überzeugt, "sondern ein Aufeinander! Erst muss der eine heruntersteigen, damit man überhaupt den Versuch unternehmen kann, miteinander oder auch nur nebeneinander zu leben!"