Zum Hauptinhalt springen

Flüchtlinge wurden zum Teil mit Bussen nach Albanien abgeschoben

Von Gregor Mayer

Politik

Skopje · Nur mehr noch zerschlissene Zeltplanen und eine Menge Müll erinnern am mazedonisch-jugoslawischen Grenzübergang Blace an das Freiluft-Camp, in dem bis vor kurzem Zehntausende | vertriebene Kosovo-Albaner blockiert waren. Genauso unheimlich wie ihr plötzliches Verschwinden in der Nacht zum Mittwoch blieben auch andere Aspekte der mazedonischen Flüchtlingspolitik.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 26 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Schon die Bezifferung der Vertriebenen macht stutzig. Als die Flüchtlingswelle nach dem Einsetzen der NATO-Luftangriffe gegen Jugoslawien anrollte, beharrte die mazedonische Regierung

darauf, daß das Land aus Gründen der inneren Stabilität nicht mehr als 20.000 Kosovo-Albaner aufnehmen könnte.

Doch als die Serben begannen, die albanische Bevölkerung von Pristina systematisch zu deportieren, strömten Zehntausende auf die Grenze zu. Anfangs nahmen sie die mazedonischen Albaner, die fast 30

Prozent der Staatsbevölkerung bilden, auf. Die Regierung in Skopje zog dennoch die Notbremse und machte die Grenze dicht. Ein Meer von Menschen steckte im Grenzgebiet bei Blace fest, unter

freiem Himmel, mit Nahrung und Wasser kaum versorgt.

"Die Mehrheitsbevölkerung ist in Panik, daß die Kosovo-Albaner das Land überfluten würden und die ethnischen Proportionen umstürzen", meinte der mazedonisch-albanische Publizist Ibrahim Mehmeti. "Die

staatliche Propaganda schürte diese Ängste." Die Regierung wiederum versteifte sich auf die Position: die an der Grenze Festsitzenden werden nur weitergelassen, wenn Drittländer sie aufnehmen.

Nach langen Diskussionen erhielten die in Mazedonien stationierten NATO-Truppen die Regierungsgenehmigung, riesige Übergangslager aus dem Boden zu stampfen. Plötzlich waren Zelt- und

Versorgungsplätze für zehntausende Menschen geschaffen. Einige Länder wie Deutschland, Norwegen und die Türkei sagten zu, Kosovo-Albaner aufzunehmen, und richteten eine Luftbrücke ein.

Doch die Umstände des Abtransports ließen es nicht zu, daß das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR nachvollziehen konnte, wohin die Vertriebenen wirklich gebracht wurden. Der Großteil landete wohl in den

NATO-Übergangscamps. Doch über genaue Zahlen herrschte selbst am Donnerstag noch Konfusion: zwischen der Anzahl von Menschen, die in Blace geschätzt wurden, und der, die in den Camps oder am

Flughafen Skopje auftauchten, tat sich eine Differenz auf.

Gerüchte machen die Runde, daß mehrere hundert oder tausend Kosovo-Albaner in Bussen nach Albanien weiterdeportiert wurden. Gewiß ist, daß bei den unsensiblen Verteilungsaktionen der mazedonischen

Behörden Familien zerrissen wurden. Vor allem bei den Flügen in die Türkei sollen Menschen gegen ihren Willen oder unter Vorspiegelung einer falschen Destination ("Es geht nach Deutschland!")

in die Flugzeuge gesetzt worden sein.

Doch die allergrößte Besorgnis der Albaner und der internationalen Gemeinschaft gilt mehreren zehntausend Menschen, die bei Blace noch jenseits der Grenze, auf Kosovo-Territorium, blockiert waren.

Sie sollen von der serbischen Polizei ins Innere der Provinz zurückgetrieben worden sein. In internationalen Kreisen befürchtet man, daß sie vom serbischen Regime als "lebende Schutzschilder" gegen

die NATO-Luftangriffe mißbraucht werden könnten. Besonders skeptische Gemüter stellen sogar die Frage, ob die Grenzblockade von einflußreichen pro-serbischen Kreisen in den mazedonischen Behörden

nicht bewußt herbeigeführt wurde, um auf diese Weise dem Milosevic-Regime in die Hände zu spielen.