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CSU und AfD ziehen in sozialen Medien vorschnelle Schlüsse über die Täter des Terroranschlags. Ziel der Kritik ist die Kanzlerin.
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Berlin/Wien. "In stiller Trauer" prangt auf dem Schwarzweiß-Foto. Auf dem Bild ist die Berliner Gedächtniskirche zu sehen, am Fuße derer Montagabend der Terroranschlag geschah. Noch in der Nacht zum Dienstag hatte die CSU dieses Bild im sozialen Netzwerk Facebook gepostet. Von Stille war bei den bayerischen Christsozialen am Dienstag keine Rede mehr. "Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren", forderte Ministerpräsident Horst Seehofer ebenfalls via Facebook.
"Überdenken" und "neu justieren" bedeutet nichts anderes als restriktivere Gesetze. Schließlich sitzt die CSU auch am Berliner Kabinettstisch als Teil der Bundesregierung. Im Verbund mit CDU und SPD wurde seit 2015 das Asylrecht mehrfach verschärft. Mit ihrer Forderung nach einer Obergrenze von 200.000 Asylwerbern in Deutschland pro Jahr hat sich die CSU bisher die Zähne an den Koalitionspartnern ausgebissen - ihren Anspruch jedoch nie aufgegeben. Und im Herbst kommenden Jahres steht die Bundestagswahl an.
Nicht offline genommen
Der bayerische CSU-Innenminister Joachim Herrmann sekundierte seinem Ministerpräsidenten: "Wenn sich bestätigen sollte, dass dieser Anschlag von jemandem verübt worden ist, der als Asylbewerber ins Land eingereist ist, dann muss das in Berlin schon noch mal zu einem grundsätzlichen Nachdenken darüber führen, wie diese ganze Flüchtlingsaufnahme gestaltet wird", wird Herrmann auf der Facebook-Seite der CSU zitiert. Um ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, sind die Wörter "Anschlag", "Asylbewerber ins Land" und "Flüchtlingsaufnahme" fett hervorgehoben.
Hermanns Zitat blieb auch online, nachdem die Ermittlungsbehörden bekanntgegeben haben, dass der Täter doch nicht ein 23-jähriger Asylwerber aus Pakistan sein dürfte. Über den Verdächtigen hieß es erst, er habe in der Silvesternacht 2015 in Passau die deutsche Grenze passiert und im Februar in Berlin einen Asylantrag gestellt.
Auch für prominente Politiker der nationalkonservativ-populistischen Alternative für Deutschland (AfD) war die Sachlage viel früher klar als für die Ermittlungsbehörden. Während die Berliner Polizei auf Twitter noch bat: "Bitte helfen Sie uns. Bleiben Sie zu Hause & verbreiten Sie keine Gerüchte", vermeldete der EU-Abgeordnete Marcus Pretzell im Kurznachrichtendienst: "Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei endlich auf? Es sind Merkels Tote!" Pretzell ist nicht irgendjemand in der AfD: Im Europäischen Parlament ist er nach Ausschluss aus der nationalkonservativen Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformer" der Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" beigetreten, zu der unter anderem die Mandatare von FPÖ, Front National und Lega Nord zählen. Zudem ist Pretzell Lebensgefährte von Frauke Petry, einer der beiden Vorsitzenden der AfD. Für Petry war früh klar: "Der radikalislamische Terror hat mitten in Deutschland zugeschlagen." Auch sie machte eilig die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung für das Attentat verantwortlich: "Das Milieu, in dem solche Taten gedeihen können, ist in den vergangenen anderthalb Jahren fahrlässig und systematisch importiert worden", schrieb Petry auf Facebook.
Ihr Wort hat dort Gewicht. Schließlich ist die Seite der AfD die mit Abstand populärste deutscher Parteien. Sie gefällt 307.000 Personen, CDU und SPD kommen nicht einmal zusammen auf diesen Wert. Petrys Kommentar vom Dienstag wurde auf mehr als 2500 Facebook-Konten geteilt.
Die Co-Vorsitzende der AfD geht so weit, Deutschland als "nicht mehr sicher" zu bezeichnen. "Es wäre die Pflicht der Bundeskanzlerin, Ihnen das mitzuteilen. Da sie es nicht tun wird, sage ich es Ihnen", so Petry.
Die Kanzlerin wandte sich am Dienstag schwarzgewandet an die Öffentlichkeit, sie sprach von einem "terroristischen Anschlag" und einer "grausamen und letztlich unbegreiflichen Tat". Auch Merkel ging auf den Flüchtlingsaspekt ein - blieb aber im Gegensatz zur AfD bei der Täterschaft im Konjunktiv: "Ich weiß, dass es für uns alle besonders schwer zu ertragen wäre, wenn sich bestätigen würde, dass ein Mensch diese Tat begangen hat, der in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten hat. Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen, vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und die sich um Integration in unser Land bemühen." Nach ihrer Ansprache legte Merkel am Tatort Blumen nieder.
SPD ruft zum Gebet auf
Wie die CDU wollten sich auch die anderen Parlamentsparteien SPD, Linke und Grüne am Dienstag nicht auf Spekulationen zum Täter einlassen. Obwohl das C für christlich steht und Teil der Parteinamen ist, waren es weder CSU noch CDU, die auf Facebook zum Beten aufriefen, sondern die Sozialdemokraten - mit ihrem historisch lange belasteten Verhältnis zur Kirche. Das entsprechende Titelbild hielt sich allerdings nur einige Stunden.