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Flüchtlingsansturm aus Syrien - Jordanien stößt an seine Grenzen

Von WZ-Korrespondent Markus Schauta

Politik

Ende August hat die Zahl der Flüchtlinge die Drei-Millionen-Marke erreicht - viele von ihnen flohen ins benachbarte Jordanien. | Ein Besuch in einem der wenigen stabilen Staaten in der von Krisen und Kriegen zerrütteten Region.


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Amman. Auf der Straße von Amman Richtung irakische Grenze kann man das metallische Flimmern am Horizont für eine Luftspiegelung halten. Doch dann tauchen auf der steinigen Ebene endlose Reihen weißer Blechhütten auf. 10.000 Behausungen hat das Flüchtlingskommissariat der UN (UNHCR) inmitten der Jordanischen Wüste errichtet - Platz für 50.000 Flüchtlinge. Mit einer Maximalkapazität von 100.000 Menschen wächst hier eines der größten Flüchtlingslager der Welt heran. Im April 2014 kamen die ersten Flüchtlinge aus Syrien ins Camp, 11.000 sind es bis jetzt.

Bernadette Castel-Hollingsworth leitet den UNHCR-Einsatz im Azraq Camp. 19 NGOs sind im Camp aktiv. Im klimatisierten Containerbüro sprechen wir über Wasser. Ein wichtiges Thema in einem Land, das zu den trockensten der Erde zählt. "Das Trinkwasser muss von drei 40 Kilometer entfernten Brunnen hierher gebracht werden", sagt sie. Vorerst, denn bei einer Bohrung im Camp seien sie auf Wasser gestoßen. "Allerdings ist es nicht zum Trinken geeignet." Proben aus einem weiteren Bohrloch seien noch ausständig.

Das Azraq Camp wurde am Reißbrett entworfen. In die einjährige Planungsphase flossen Erfahrungen aus anderen Camps ein, etwa der Wunsch von Flüchtlingen nach kleinen sozialen Einheiten. Castel-Hollingsworth tippt mit dem Finger auf quadratische Areale am Lagerplan. Sie sagt: "Es gibt zwölf Dörfer, in denen Platz für 10.000 bis 15.000 Menschen ist." Jedes Dorf habe seine eigene Klinik und Schule, einen Kinderspielplatz, einen Polizeiposten und ein Sozialzentrum. Das Dorf ist in Familien-Areale unterteilt, jeweils sechs Hütten mit zwei Sanitäranlagen. Zieht eine Familie dort ein, bleiben die restlichen Hütten für nachkommende Familienmitglieder reserviert. "Das erhöht das Sicherheitsgefühl", sagt sie. Auch seien die von wenigen genutzten Toiletten angenehmer als von Hunderten aufgesuchte öffentliche Anlagen.

"Strom ins Lager zu bringen, hat oberste Priorität", so die Einsatzleiterin. Sie plane informelle Märkte zu errichten, wo Leute Zugang zu Tee- und Kaffeeläden, Friseuren und kleinen Geschäften haben. Solar-Straßenlampen gehen demnächst in Betrieb. Zu tun gebe es einiges: "Wir brauchen Zeit und Finanzierung."

Gefahrvolle Fahrt

Jumaa und seine Frau kamen vor drei Tagen ins Camp. Ich treffe den 26-Jährigen in seiner Hütte, in der es dank der Isolierung angenehm kühl ist. Eine weiße Plane ersetzt den Teppich, an einer Wand zwei Matratzen, in der Ecke Küchenutensilien und die Solarlampe - das UNHCR-Standardset für Menschen, denen der Krieg fast alles genommen hat. Während seine Frau am Gaskocher Tee zubereitet, suchen Jumaas Finger auf der Syrien-Karte die Stationen ihrer Flucht. Jumaa kommt aus einem Dorf in der Provinz ar-Raqqa, im Norden Syriens. Da Jordanien die offiziellen Grenzübergänge geschlossen hat, blieb nur der Weg durch die Syrische Wüste. 200 Euro bezahlte er für die Flucht. So viel kosteten zwei Plätze am Lastwagen, den sie und 48 weitere Syrer um zwei Uhr nachts bestiegen. Über Manbij ging es nach ar-Raqqa, die von der Dschihadistengruppe "Islamischer Staat" (IS) kontrollierte Stadt am Euphrat. Weiter ohne Halt, nach Süden. Es war schon wieder dunkel, als sie den Bagdad Highway erreichten.

Die Wüstenstraße ist umkämpfte Zone, immer wieder werden Autos beschossen. Irgendwann mitten in der Wüste hielt der Truck an. Die letzten Kilometer bis zur Grenze gingen sie zu Fuß. Es war Mitternacht, als sie den Grenzwall erreichten. Jordanische Soldaten gaben ihnen Decken und Kekse, später brachte sie ein Militärwagen ins Camp.

Die hagere Frau serviert Tee, dann setzt sich hinter Jumaa auf den Boden. Die beiden vermissen Syrien. Warum bist du geflohen? "Ich bin Bauer, der Regen blieb aus, die Pflanzen sind vertrocknet. Es gab kein Benzin für die Maschinen, die Hospitäler haben zugesperrt." Warum Jordanien? "Weil sie hier Arabisch sprechen, Türkisch verstehe ich nicht." Wo ist deine Familie? "Die Eltern sind in Syrien geblieben, um auf die Ziegen und Schafe und das Haus aufzupassen." Das Leben im vom IS ausgerufenen Kalifat? "Sie sorgen für Ordnung, den Zivilisten tun sie nichts an. Es gab Hinrichtungen, ich habe davon gehört. Mir hat IS nichts getan, daher spreche ich nicht gegen sie."

Probleme nehmen zu

Seine Hütte verlässt Jumaa nur, um im Camp-Supermarkt mit Coupons Lebensmittel einzukaufen. "Meine Frau ist im siebten Monat schwanger, ich will sie nicht lange alleine lassen." Außerdem haben Nachbarn erzählt, dass unbewachte Hütten aufgebrochen werden. Am Nachmittag kommt Wind auf, am Horizont die braunen Schlieren von Staubstürmen.

Eineinhalb Autostunden sind es vom Azraq Camp bis Mafraq im Norden Jordaniens. In der Stadt, 20 Kilometer vor der syrischen Grenze, leben 76.000 Syrer. Die Einwohnerzahl hat sich seit 2011 verdoppelt. In einem Restaurant an der staubigen Hauptstraße treffe ich Adnan. Der jordanische Eigentümer, Schnurrbart, Lesebrille auf der Glatze, lädt mich zum Kaffee ein.

"Anfangs war die Gastfreundschaft in Mafraq groß", sagt er. "Syrer bekamen günstige Wohnungen und gratis zu essen." Inzwischen gebe es aber eine Menge Probleme. "Viele Syrer arbeiten ohne Arbeitsgenehmigung und drücken die Löhne", sagt er. Betroffen seien auch Arbeitsmigranten aus Ägypten, die ihre Jobs in der Landwirtschaft an die Flüchtlinge verlieren.

"Uns geht das Wasser aus"

"Wegen der hohen Nachfrage haben sich die Mieten in manchen Gebieten verdreifacht." Und noch etwas mache ihm Sorgen: Die Wassertanks werden wegen der explodierten Einwohnerzahl nur mehr einmal, statt zweimal die Woche aufgefüllt: "Uns geht das Wasser aus." Adnan zündet sich eine weitere Zigarette an. In seinem Restaurant stelle er keine Syrer mehr ein. Einzige Ausnahme ist Jasin aus Homs. "Seine Mutter ist Jordanierin."