Vor einem Monat zeigte sich eine Welle der Solidarität. Jetzt schrumpft die Zahl der Helfenden an den Bahnhöfen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Rucksäcke, Taschen, warme Damen- und Herrenschuhe. Herrenjacken in den Größen Small und Medium, Herren-Langarmleiberl, Handschuhe und Hauben werden am Westbahnhof gesucht. Diese Meldung zischt durch die sozialen Netzwerke. Abgeschickt von der Caritas, die dort für die Flüchtlingsversorgung zuständig ist. Die Hilfsorganisation sucht Unterstützung, um die Schutzsuchenden für die kalten Temperaturen fit zu bekommen.
Etwa 600 Flüchtlinge waren Dienstagfrüh laut Caritas-Teamleiter Stephan Waldner am Westbahnhof. Viele sitzen in dicken Jacken dicht aneinander gedrückt, um sich gegenseitig zu wärmen, in der Hand eine Tasse Tee oder Kaffee. Vor dem "blauen Haus" in der Nähe des Bahnhofs, in dem 450 Flüchtlinge vorübergehend ein Bett finden, stehen zehn Personen und warten.
Euphorie abgeflaut
Die Schlange war schon einmal länger, aber die Kapazitäten sind fast jede Nacht ausgelastet, sagt Waldner. "In ganz Wien gab es in der Nacht auf Dienstag nur noch 90 Schlafplätze", erzählt er. Für den Fall, dass die Plätze ausgehen, sucht der Teamleiter Private, die weitere Schlafsäcke bereitstellen können. Die könnte man am Westbahnhof bald dringend brauchen. Allein 2200 Menschen haben in der Nacht auf Dienstag den burgenländischen Grenzort Nickelsdorf erreicht. Am Tag davor waren es 8240. Derzeit sind in Österrecih 60.000 Schutzsuchende in der Grundversorgung.
In der Annahmestelle für Spenden am Westbahnhof wird von drei jungen Leuten Kleidung sortiert. Vereinzelt sieht man private Helfer und Dolmetscher mit Flüchtlingen im Schlepptau durch die Bahnhofshallen huschen.
"Vor einem Monat, als erstmals tausende Flüchtlinge von Ungarn nach Österreich kamen, waren noch deutlich mehr Helfer da", sagt Waldner. "Jetzt ist die Euphorie ein wenig abgeflaut." Das habe einerseits damit zu tun, dass viele junge Menschen seit Oktober wieder mit ihrem Studium eingespannt seien und andererseits damit, dass einige, die sich für die Unterstützung Urlaub genommen haben, wieder arbeiten würden. Waldner: "Ein großes Problem war auch, dass es viele Leute in den letzten sechs Wochen mit der Solidarität zu gut gemeint haben und nun völlig fertig sind." Seither steht auf dem Namenskärtchen jedes Helfers Datum und Dienstbeginn. "Damit die Leute regelmäßig heimgehen und sich ausschlafen."
Aber die Unterstützung sei nach wie vor "großartig". Es würden immer noch 140 Helfer und bis zu 40 Dolmetscher verteilt auf den Tag kommen. "Vor einiger Zeit waren es aber noch um hundert Personen mehr", sagt Waldner. Auch wenn die Versorgung im Moment durchaus funktioniert: "Mehr Leute wären nicht schlecht." Sachspenden kämen am Westbahnhof genug zusammen. Auf Lebensmittel sei man eher angewiesen. "Aber auch das schaffen wir", sagt Waldner. Nun wünscht er sich, dass das Bundesheer der geschrumpften Anzahl an Helfern mit warmen Speisen unter die Arme greift. Gespräche dazu würden laufen.
Aus dem Verteidigungsministerium heißt es dazu, dass ständig Soldaten zur Versorgung von Flüchtlingen an den Bahnhöfen eingesetzt werden. Das Heer hilft bei Transport, Essensausgabe und dem Aufbauen von Feldbetten in den Notschlafstellen. "Dort, wo wir gebraucht werden, helfen wir aus", sagt Ministeriumssprecher Andreas Strobl. "Soldaten haben logischerweise ein höheres Durchhaltevermögen als Personen, die neben ihrem Beruf Flüchtlinge versorgen. Das Bundesheer wird da wie dort für Entlastung sorgen." 169.000 Tagesportionen hat das Bundesheer österreichweit seit Anfang August ausgegeben. Bestehend aus Frühstück sowie Mittag- und Abendessen. 4000 Portionen am Tag werden allein in Wien verteilt. Darunter auch auf dem Westbahnhof.
"Ich war einfach ausgelaugt"
Auch am Hauptbahnhof sind weniger helfende Hände unterwegs als noch vor wenigen Wochen. Studium und Arbeit kamen dazwischen. Oder die Helfer brauchen einfach eine Auszeit, wie der Filmemacher, Grafiker und Fotograf Julian Pöschl sagt. Er ist einer der Koordinatoren am Bahnhof und gönnte sich selbst eineinhalb Wochen Pause, "weil ich einfach ausgelaugt war". Am Hauptbahnhof werden neben weiteren Helfern auch regelmäßig Winterkleidung, Lebensmittel und Hygieneartikel gebraucht. In der burgenländischen Gemeinde Nickelsdorf, sagt ein Sprecher des Roten Kreuzes, dass die Helfer zwar etwas weniger geworden seien, aber selbst trotz Kälte jeden Tag bis zu 20 Personen warme Speisen und Getränke an die ankommenden Flüchtlinge verteilen. Vor Ort sei man an sich aktuell mit allem Nötigen für die Verpflegung der Flüchtlinge versorgt. In der Notschlafstelle im Ferry Dusika Stadion werden außerdem immer wieder Helfer für Nachtdienste gesucht.