)
Ethnische Konflikte drohen neu aufzuflammen. | Verfeindete Talibangruppen könnten sich zusammentun. | Neu Delhi. Es dauert nicht lange, bis die Tränen fließen im Shahzad Town-Notlager außerhalb von Mardan. Mit drei Lastern ist der 26-jährige Parwez Khan mit seiner Familie aus einen kleinen Dorf im Buner-Distrikt geflohen, als das pakistanische Militär seine Offensive gegen die Taliban begann. "Am ersten Tag wurden zwei unserer Fahrzeuge beschossen, alle, Frauen, Männer und Kinder starben", erzählt der junge Mann weinend einer pakistanischen Zeitung. "Heute habe ich nur noch die Hälfte meiner Familie".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Etwa 1,3 Million Menschen sollen nach Schätzungen der Armee ihre Häuser im Swat-Tal und den umliegenden Gebieten verlassen haben.
"Pakistan erlebt die größte Flüchtlingsbewegung seit 1947", schreibt die "Daily Times". Laut dem Regierungsbeauftragten in Mardan, Khalid Umerzai, sind 432.000 Vertriebene im Bezirk gemeldet worden. In den Auffanglagern um Mardan sollen bislang 55.000 Menschen aufgenommen worden sein. Wer irgendwie kann, kommt bei Verwandten unter. Sogar in Großstädten wie Lahore sind inzwischen Notunterkünfte für die Vertriebenen aus dem Swat-Tal eröffnet worden. "Wir haben eine große, große Flüchtlingskrise", erklärte der US-Sondergesandte Richard Holbrooke dem amerikanischen Senat.
Viele zweifeln an der baldigen Heimkehr
Viele zweifeln, dass diese Menschen bald wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Die Flüchtlingswelle belastet das wirtschaftlich schwache Land. Der massive Zustrom aus dem Swat und anderen Regionen der Nordwestgrenzprovinz könnte auch ethnische Konflikte gerade in den Städten wieder aufflammen lassen. Die Mehrheit der Vertriebenen sind Paschtunen, die oft nicht einmal die offizielle Landessprache Urdu beherrschen. Karachi ist schon seit längerem berüchtigt für gewaltsame Ausschreitungen. Die Hafenstadt am Arabischen Meer hat in den letzten Jahren massive Einwanderung von Paschtunen aus dem Grenzgebiet zu Afghanistan erlebt.
Mit den Flüchtlingen sind auch Taliban-Kämpfer und andere religiöse Hardliner in die Metropole gekommen. "Sie wollen Karachi übernehmen", schimpfen Einwohner. Menschen in Lahore und Islamabad fürchten nun eine ähnliche Entwicklung, wenn auch sie immer mehr Vertriebene aufnehmen müssen. Für lange Zeit bestehende Lager könnten eine ideale Brutstätte für Terroristen sein.
Der Angriff des pakistanischen Militärs auf die Taliban könnte neben der Flüchtlingskrise auch andere unangenehme Nebeneffekte haben. Beobachter befürchten, dass sich die pakistanischen Taliban, bisher ein eher loser Verband von lokalen Gruppen, im Kugelhagel der Armee zu einer schlagfähigen Kommando-Truppe mausern könnten. Bislang sind sich manche Taliban-Führer spinnefeind. Wenn der Vorstoß der Armee im Swat-Tal weitergeht, könnten die in Bedrängnis geratenen Extremisten sich zusammentun und gemeinsam mit Vergeltungsschlägen reagieren.
So waren bislang Maulana Fazlullah, der Führer der im Swat aktiven Taliban, und Baitullah Mehsud, der einflussreiche Taliban-Chef aus Waziristan, nicht besonders gut aufeinander zu sprechen. Fazlullah, ein früherer Ski-Lift-Arbeiter im Swat, der mit einen berüchtigten Radioprogramm zum Hohepriester des Terrors aufstieg, war stets auf eine eigene Identität erpicht, sehr zum Missfallen von Mehsud. Doch das könnte sich nun ändern.