Das ist das Kreuz mit direkten Wahlen: Die Begegnung mit realen Problemen kann nicht verlässlich ausgeschlossen werden.
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Grundsätzlich hat ja das Volk fast immer recht. Weil es da aber eben doch die eine oder andere Ausnahme gegeben hat und wieder geben wird, verfielen kluge Köpfe im Laufe der Jahrhunderte auf das Konzept des Rechtsstaates, der eine Handvoll Grundrechte sowie die Spielregeln der politischen Auseinandersetzung der Verfügungsgewalt von Mehrheiten entzieht. So gesehen spricht in entspannten Zeiten für entspannte Gesellschaften herzlich wenig dagegen, Fragen von besonderer Bedeutung die Bürger direkt entscheiden zu lassen, wenn diese es denn selbst wollen.
Eigentlich ist ja auch die Einschränkung mit der Angespanntheit eine unzulässige. Warum sollte schließlich in angespannten Zeiten falsch sein, was sonst richtig ist. Allerdings entzieht sich Politik strikt rationalen Kriterien - und soll es auch. Es geht um Werte, Interessen Gefühle, Stimmungen, Sympathien und Antipathien - die ganze politische Klaviatur eben. Und genau deshalb sind ja auch Wahlkämpfe da: um all jene Themen anzusprechen, die den Menschen in diesem Land unter den Fingern brennen.
Die nun anhebende Auseinandersetzung um den nächsten Hofburg-Mieter - Wahltag ist jetzt fix der 24. April - ist da keine Ausnahme. Dass der Bundespräsident in der Flüchtlingsfrage keine Kompetenzen hat, stimmt, ist aber nicht wirklich ein Gegenargument. Was sonst, wenn nicht die Flüchtlingskrise, sollte derzeit thematisiert werden? Es geht um das höchste Amt im Staat - und da gilt, was Verwaltungsjuristen in ihrer unnachahmlichen Begriffsschöpferkunst Kompetenz-Kompetenz nennen, jedenfalls im politischen Sinn: Der Bundespräsident kann und soll sich zu allem zu Wort melden, das ihm für das Staatswohl wichtig erscheint. Deshalb wird er auch in direkter Volkswahl ins Amt gewählt. Dass er für die wenigsten Probleme eine direkte Lösungskompetenz oder auch nur Zuständigkeit besitzt, spielt keine Rolle.
Direkte Konsequenz der Direktwahl ist auch der härtere Ton in der Debatte. Dass das bei früheren Hofburg-Wahlen anders war, ist richtig; früher war allerdings vieles anders. Heute ist fast jede Wahl ein prinzipiell offenes Rennen. Wer gewinnen will, muss kämpfen.
Alternativ ließe sich das Staatsoberhaupt natürlich auch in indirekter Wahl bestimmen, etwa durch die Bundesversammlung, der gemeinsamen Sitzung von Nationalrat und Bundesrat. Die wählte bis zur Verfassungsgesetznovelle von 1929 das Staatsoberhaupt; heute tritt dieses Gremium lediglich für dessen Angelobung zusammen, ihre weiteren Zuständigkeiten der Bundesversammlung - Kriegserklärung und Abhaltung einer Volksabstimmung über die Abberufung des Staatsoberhaupts - kamen bisher noch nie zur Anwendung.
Theoretisch müsste die indirekte Wahl des Bundespräsidenten nicht unbedingt zu einer Domestizierung des ohnehin nur in der Theorie mächtigen Amtes führen. Deutschland lebt das mit dem zwar kompetenzarmen, dafür aber durchaus unbequemen und sprachmächtigen Prediger-Präsidenten Joachim Gauck derzeit gerade eindrucksvoll vor. Aber der Abgang von der Volkswahl würde die Balance der Machtverhältnisse beeinträchtigen - vielleicht nicht im öden Alltag, aber ganz sicher in einer stets möglichen politischen Krise der Republik.