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Die Lage der Flüchtlinge verschlechtert sich täglich. Daran ist auch die politische Weichenstellung in Europa schuld.
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Die Lage für die aus Syrien, Irak und Afghanistan Vertriebenen verschlechtert sich nun täglich. Allerdings ist daran nicht in erster Linie das herbstlich-kalte Wetter schuld, sondern die strategischen Operationen der sogenannten Großmächte und der regionalen Mächte im Nahen Osten und auch die politischen Weichenstellungen in Europa. Die Regierungschefinnen und -chefs im Europäischen Rat haben Mitte Oktober einen radikalen Kurswechsel eingeleitet. In den Schlussfolgerungen dieses Treffens findet sich kein Hinweis mehr auf Menschenrechte, Grundrechts-Charta oder europäische Werte.
Es ist in diesen Schlussfolgerungen nur mehr von Grenzsicherung, Registrierung, Rückführung und von einer Kooperation mit der Türkei die Rede. Mit der türkischen Regierung wird zwei Wochen vor dem Wahltermin über Erweiterungsverhandlungen, Visa-Liberalisierung und Milliardenförderungen verhandelt, um sie zu einer harten Flüchtlingspolitik zu bringen. Die Regierungen starten also eine panikartige Aktion, ändern schon wieder ihre Haltung zur Türkei und vergessen dabei bewusst die Schurkenpolitik der derzeitigen türkischen Regierungsspitze.
Gäbe es nicht die Hilfsorganisationen, die NGOs und die vielen Einzelpersonen, die für das umfassende Staatsversagen einspringen, man könnte meinen, man befindet sich im Libanon, der auf einem Territorium so groß wie Oberösterreich mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat. Mit dem Unterschied, dass dort aber relative Stabilität und weitgehende politische Übereinstimmung darüber herrschen, dass man sich gegenüber den Kriegsflüchtlingen solidarisch verhält.
Was hat diesen Stimmungswandel in Europa herbeigeführt? Im Grunde sind die europäischen Konservativen am härtesten von der aktuellen Herausforderung getroffen. Zwischen der Stacheldrahtpolitik eines Viktor Orbán und der "Wir schaffen das"-Bemühung einer Angela Merkel liegen politische Welten.
Aber auch in Österreich zeigt sich die ÖVP unentschlossen und uneinheitlich. Hier das Engagement eines Flüchtlingskoordinators Christian Konrad oder die überlegte und breit unterstützte Politik der schwarz-grünen Vorarlberger Landesregierung unter Markus Wallner. Dort eine ratlose und verzweifelte Innenministerin: "Wir brauchen eine Festung Europa!" Und das aus ein und derselben Partei. Als Ergebnis einer solchen Nichtposition steht dann ein Außenminister, der im Parlament vor dem Europäischen Rat noch stolz berichtet, wie nun mit der Türkei ein Pakt gegen Flüchtlinge vorbereitet wurde - und zehn Tage später bezeichnet er eben diesen Pakt als "scheinheilig" und doppelbödig. Gleichzeitig argumentiert Sebastian Kurz, dass Stacheldrähte effiziente Flüchtlingsabwehr bringen.
Es ist sicher nicht leicht, in dieser Situation zu regieren. Aber es wäre sinnvoller, tatsächlich notwendige Maßnahmen zu akkordieren, in den Parteien und in Europa, anstatt - wie bisher - zuerst die Öffentlichkeit zu suchen. Auch in dieser Hinsicht erscheinen mir die Kommission und das Europäische Parlament verlässlicher als die Regierungen.