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Der kongolesische Flüchtling Mbolela kritisiert die EU: "Länder des Maghrebs, von denen bekannt ist, dass sie große Menschenrechtsprobleme haben, sollen Wachhund spielen, damit die Flüchtlinge in Europa nicht um Asyl ansuchen."
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Wien. Emmanuel Mbolela ist ein ehemaliger Politikwissenschaftsstudent aus der Demokratischen Republik Kongo, die er 2003 gezwungen war zu verlassen, weil er an einer regierungskritischen Demonstration teilgenommen hatte. Aus einem kurzfristigen Exil im Nachbarland wurde schnell eine fünfjährige Odyssee quer durch Afrika bis in die Niederlande, wo er heute lebt und sich für die Rechte von Flüchtlingen allgemein und den Frieden im Kongo selbst einsetzt. Er übt harsche Kritik an der Europäischen Union und ist seit kurzem in einer Organisation aktiv, die ein Alarmtelefon für Flüchtlinge im Mittelmeer eingerichtet hat. Mbolela war auf Einladung des Wiener Instituts für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) in Wien.
"Wiener Zeitung":Die Polizei im Kongo hatte Sie schon gefangen genommen, aber Sie sind entkommen. Wie ist Ihnen das gelungen?Emmanuel Mbolela: Wenn man in diese Situation kommt, versuchen Eltern alles, um ihre Kinder freizubekommen, so auch meine. Es ist kein Geheimnis, dass es im Kongo auch auf dieser Ebene Korruption gibt. Die Haftbedingungen sind lebensgefährlich und meine Eltern haben das ganze Geld zusammengenommen, das sie hatten, und haben mich freigekauft. Währenddessen sind andere meiner Mitstreiter im Gefängnis umgekommen.
Wie kann man sich ein Gefängnis im Kongo vorstellen?
Ich war fast einen Monat in diesem Gefängnis. Es ist nicht so wie hier in Europa. Es gibt keine Sanitäranlagen, nichts zu essen und es gibt eine hohe Gewaltrate. Man wird im Gefängnis auch gefoltert, und das bedeutet, man muss alles tun, damit man dort schnellstmöglich herauskommt, sonst riskiert man, sein Leben zu verlieren. Ich war fast ein Monat in diesem Gefängnis.
Wofür haben Sie demonstriert?
2002 gab es in Südafrika, in der Stadt Sun City von der internationalen Gemeinschaft organisierte Friedensverhandlungen. Die Situation im Land war sehr schlimm, es gab schon etwa sechs Millionen Tote durch den Bürgerkrieg, die systematische Vergewaltigung von Frauen hatte kein Ende genommen und über 200.000 Menschen waren innerhalb des Landes auf der Flucht. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Sun City Geheimverhandlungen zwischen dem Präsidenten Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba, einem Rebellenführer. Sie haben ohne jegliche demokratische Legitimation unter sich etwas ausgemacht. Das wollten wir nicht akzeptieren. Wir wollten einen gerechten, einen globalen und inklusiven demokratischen Vertrag, der mit diesen Geheimverhandlungen überhaupt nicht erreicht worden ist, und deswegen sind wir auf die Straße gegangen.
Wie war die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf diese Geheimverhandlungen?
Die EU hätte diesen Vertrag, der zwischen Bemba und Kabila ausgehandelt wurde, akzeptiert, doch der ehemalige Präsident von Botswana, den die UNO als Mediator eingesetzt hatte, kritisierte, dass der Vertrag nicht gerecht war, und stand auf unserer Seite. Wir haben dafür demonstriert, dass Kabila an den Verhandlungstisch zurückkehrt.
Sie haben die Grenzpolitik der EU zynisch und menschenrechtsunwürdig genannt . . .
Ich würde jederzeit wiederholen, dass diese Politik zynisch ist. Es gibt einen irrsinnigen Widerspruch zwischen der Beteuerung der EU, gegen Terrorismus und kriminelle Aktivitäten zu kämpfen, und der Flüchtlingspolitik der Union. Die ist nämlich auch terroristisch und kriminell. Die EU stattet die Länder des Maghrebs aus und finanziert sie, Länder wie Marokko, Tunesien und Libyen, von denen bekannt ist, dass es dort große Menschenrechtsprobleme gibt. Die EU will, dass diese Länder den Wachhund für sie spielen und dass die Flüchtlinge dort festgehalten werden, um hier kein Asyl ansuchen zu können.
Wie unterscheidet sich Ihre Einstellung in diesem Punkt von der der Europäischen Union?
Ich sage, es gibt nur Menschenrechte. Es gibt davon nicht für die einen mehr und für die anderen weniger, das ist im ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auch festgehalten. Ich selbst wurde auch Opfer von Menschenrechtsverletzungen, für die indirekt die Europäische Union verantwortlich ist. Das sah so aus, dass in Marokko mitten in der Nacht die Polizei an der Tür geklopft hat und uns mitten im Winter in die Wüste, in das Niemandsland zwischen Marokko und Algerien abgeschoben hat. Diese Rückschiebungen haben mit einer stillschweigenden Toleranz der Europäischen Union stattgefunden.
Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
In diesem Niemandsland hat ein Pingpong-Spiel zwischen der marokkanischen und der algerischen Polizei begonnen. Man wurde von einer Seite auf die andere gejagt und wurde manchmal auch noch von der Polizei oder von Gruppen von Banditen, die dort unterwegs sind, angegriffen. Ich frage mich, wo die Zukunft der Völker und die Zukunft des Friedens liegt. Denn diese Politik, die die EU mitbetreibt, schürt die Xenophobie und den Hass und eigentlich müsste genau das Gegenteil passieren.
Hat sich seit Ihrer Flucht etwas auf diesem Gebiet getan?
Ich war vor einer Woche in Marokko und habe gesehen, dass sich die Situation überhaupt nicht verbessert hat. Es gibt nach wie vor viele Morde mit xenophobem Hintergrund an Migranten und es gibt nach wie vor viele Menschen, die im Meer sterben. Die Grenzschutzagentur Frontex war natürlich in dieser Region auch aktiv. Sie hätte alle Möglichkeiten, Menschen, die in Seenot geraten sind, zu retten, nahm diese Pflicht aber nicht wahr. Selbst wenn ein Hilferuf von einem Flüchtlingsboot in Seenot kam, konnte es trotzdem passieren, dass Frontex nicht reagierte und dass diese Menschen einfach ertranken. Das ist für mich eine ganze Reihe von Beweisen dafür, dass die Flüchtlingspolitik der EU zynisch ist.
Sie unterstützen eine Organisation, die ein Alarmtelefon für Flüchtlinge eingerichtet hat...
Dabei geht es darum, Menschen, die vorhaben, das Mittelmeer zu überqueren, eine Hilfeleistung anzubieten. Es gibt eine Telefonnummer, die man anrufen kann, wenn man in Seenot gerät, und ein Netzwerk von Aktivisten nimmt 24 Stunden am Tag diese Anrufe entgegen. Sie üben dann Druck auf die Küstenwache aus. Wenn diese nicht reagiert, wird politischer Druck ausgeübt, und es gibt auch die Möglichkeit, Klagen einzureichen und an die Öffentlichkeit zu gehen. Damit wollen wir die jetzige Situation beenden, in der viele Menschen im Mittelmeer ertrinken.
Denken Sie, dass Sie bald in den Kongo zurückkehren können?
Ich hatte zumindest immer den Wunsch, zurückzukehren. Die Leute denken oft, dass es uns hier gut geht, weil wir in Sicherheit sind, aber um ganz ehrlich zu sein, ich war nie glücklich, seit ich hergekommen bin. Ich will zurückkehren und dort aber nicht die Arme verschränken, sondern weiterhin für meine Sache aktiv sein. Ich lese tagtäglich davon, dass Oppositionelle im Kongo umgebracht werden, dass die Vergewaltigungen im Osten weitergehen, dass Menschen getötet und massakriert werden. Das ist für mich Grund genug, weiter aktiv zu bleiben, aber ich möchte das zu Hause im Kongo tun, und sobald es mir möglich ist, werde ich zurückkehren.
Gibt es Hoffnung auf Frieden im Kongo?
Ja. Es kommt nur auf den politischen Willen derer an, die für den Krieg verantwortlich sind. Damit meine ich nicht nur die nationale Regierung in Kinshasa, sondern auch die transnationalen Konzerne, die ein großes Interesse daran haben, dass die Rohstoffausbeutung weitergeht, vor allem mit dem berühmten Coltan, das in allen Mobiltelefonen zu finden ist. Es muss der politische Wille herrschen, dass sowohl aus Kinshasa, als auch aus dem Westen das Signal kommt: Wir wollen diese Situation beenden.