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Flüchtlingsstreit entzweit EU

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Ungarn erhöht vor Spitzentreffen Druck auf andere Mitgliedstaaten.


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Brüssel. Fürs Warten auf eine gemeinsame Lösung hatte Budapest keine Zeit. Kurz vor dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs, das am heutigen Donnerstag in Brüssel beginnt, hat die ungarische Regierung aus der Debatte um die Flüchtlingspolitik ihre eigenen Schlüsse gezogen - und gehandelt. Das Land will zunächst einmal keine Asylwerber aufnehmen, die aus anderen Staaten nach Ungarn, dort wo sie in die EU eingereist sind, zurückgeschickt werden.

Die Entscheidung hat nicht nur im davon besonders betroffenen benachbarten Österreich Kritik ausgelöst, sondern auch in EU-Parlament und -Kommission. Überall wird auf die geltenden Asylregeln verwiesen, wonach ein Antrag in dem Mitgliedstaat zu bearbeiten ist, in dem er zuerst gestellt wurde. Diese Vorschriften habe Ungarn allerdings gar nicht außer Kraft gesetzt, lautet die Argumentation in Budapest. Es habe keinerlei Suspendierung einer EU-Rechtsnorm gegeben, betonte Außenminister Peter Szijjarto.

Vielmehr sei die Aktion als ein "dringender Appell" an die anderen Staaten zu verstehen, keine Flüchtlinge nach Ungarn zu schicken, erläuterte gleichzeitig in Brüssel der ungarische EU-Botschafter, Peter Györkös. Denn die menschlichen, technischen und finanziellen Kapazitäten seien ausgeschöpft. Über die sogenannte Westbalkan-Route würden mittlerweile mehr Menschen nach Europa gelangen wollen als über das Mittelmeer, meinte der Diplomat.

Tatsächlich ist die Zahl der Grenzübertritte, die als illegal eingestuft werden könnten, gestiegen. Lag sie 2012 bei rund 2500, verzeichnete Ungarn im Vorjahr mehr als 42.000 Einreisen. Und allein heuer hätten bis Juni schon fast 60.000 Menschen Asyl beantragt; bis Jahresende könnte es also mehr als 120.000 Anträge geben.

Österreich, das selbst die Bearbeitung bestimmter Asylanträge fürs Erste einstellen will, pocht dennoch auf die Rückführung der Menschen. Das Außenministerium in Wien hat Ungarns Botschafter einberufen, um nähere Erläuterungen zu erhalten; der diplomatische Vertreter in Berlin wurde ebenfalls zu Gesprächen ins Außenamt gebeten. Und auch Premierminister Viktor Orban wird im Kreise seiner europäischen Amtskollegen die Sichtweise seines Landes darlegen. Die Verteilung von Flüchtlingen in der Europäischen Union ist nämlich eines der wichtigsten Themen bei der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs.

Der EU-Quotenstreit geht unterdessen weiter. Während sich nämlich Österreich oder Deutschland - in der Hoffnung, künftig weniger Menschen betreuen zu müssen - für eine verpflichtende Quote bei der Aufteilung von Asylwerbern aussprechen, möchten andere Mitglieder die Flüchtlinge nur auf freiwilliger Basis aufnehmen. In dieser Gruppe befindet sich keineswegs nur Ungarn: Polen, Tschechien und die Slowakei weisen ebenfalls auf die unterschiedlichen Aufnahmekapazitäten der Staaten hin. In einer gemeinsamen Erklärung halten die Regierungschefs der vier Länder fest, dass die Forderung nach festen Quoten "inakzeptabel" sei.

Einen fixen Verteilungsschlüssel, der Faktoren wie Bevölkerungszahl oder Wirtschaftsleistung berücksichtigt, hat aber gerade die EU-Kommission vorgeschlagen. Es geht dabei um die Unterbringung von 40.000 Syrern und Eritreern, die in den kommenden zwei Jahren aus Italien und Griechenland umgesiedelt werden sollen. Hinzukommen würde ein Programm zur Neuansiedlung von 20.000 schutzbedürftigen Menschen. Diese Zahlen sind auch im Entwurf für das Schlussdokument des Gipfels erwähnt. Ob es aber eine verpflichtende Quote für die einzelnen Mitglieder gibt, wird offen gelassen.

Keine dauerhafte Quote

Überhaupt nicht Gegenstand der Debatte ist hingegen derzeit ein dauerhafter Verteilungsmechanismus. Der wäre aber die Voraussetzung dafür, was die österreichische Regierung in ihrem Zehn-Punkte-Plan zur Asylpolitik suggeriert: die Halbierung der derzeitigen Quote bei der Versorgung der Asylwerber. Das wäre nur möglich, wenn es eine permanente Quoten-Aufteilung gäbe.

Die Staaten, die dies ablehnen, argumentieren nicht nur mit finanziellen, sondern auch geografischen Gegebenheiten. So weist Ungarn eben auf die geänderten Schlepper-Routen hin. Budapest fühlt sich in den Plänen der Kommission vernachlässigt: Während Augenmerk auf Italien und Griechenland gelegt wird, würde die Situation in Ost- und Mitteleuropa wenig berücksichtigt. Daher würden die Vorschläge der Behörde nicht weit genug gehen, findet Botschafter Györkös.

Unklar bleibt dabei noch, ob Ungarn selbst neben Italien und Griechenland auf die Liste der Mitgliedstaaten gesetzt werden möchte, aus denen Asylwerber in andere Länder umgesiedelt werden.

Weitere Spekulationen betreffen die Überlegung, ob die Regierung in Budapest nicht den Wunsch nach einem Abschiebestopp in das Land hegt. Ein Beispiel dafür gibt es bereits: Griechenland. Die Abschiebungen dorthin wurden schon vor einiger Zeit ausgesetzt, weil das Land mit der Versorgung von Flüchtlingen überfordert war. Ähnliches kündigt sich nun für Ungarn an.