Bundeskanzler Werner Faymann wegen Flüchtlingspolitik von Genossen ausgepfiffen.
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Wien. Die Wiener SPÖ hat sich am Donnerstag in Floridsdorf zu einer Klausur getroffen. Die "Highlights": ein ausgepfiffener Bundeskanzler und Bundesparteiobmann Werner Faymann, und ein von Bürgermeister Michael Häupl vorgeschlagenes Gymnasium für alle.
Aber der Reihe nach: "Sie haben heute eine sehr lebendige Sozialdemokratie erlebt", sagte Häupl diplomatisch gegenüber den Journalisten nach einer unfreiwillig verlängerten Vormittagsdebatte. Denn, anders als geplant, waren die Flüchtlinge das dominante Thema der Parteiveranstaltung. Und das Thema offenbarte auch einmal mehr die Zerrissenheit innerhalb der Partei. Denn Faymanns Auftaktrede war von Protesten begleitet: Mit einem Pfeifkonzert unterbrachen fünf Aktivisten des VSStÖ die Rede und hielten Transparente in Höhe, auf denen zu lesen war: "Des gibt a Blaue - Abpfiff für Faymann", "Raus aus dem rechten Eck, Werner", "Spielerwechsel".
Sichtlich verärgert verteidigte Faymann die österreichische Flüchtlingspolitik und die festgelegten Obergrenzen: "Nur die EU kann das Problem lösen, nicht ein Land alleine. Da können die noch so viele Schilder hochhalten", sagte Faymann. Man müsse auch die Wahrheit sagen, wenn der Flüchtlingsstrom so weitergehe, nämlich: "Das schaffen wir nicht. Und diese Ehrlichkeit vermisse ich." Denn wer das Gegenteil sage, belüge die Menschen: "Und ich belüge Sie nicht", betonte Faymann.
Später hielt Gemeinderätin Tanja Wehsely fest, dass Aussagen, wonach die Schließung der Balkanroute weniger Tote bringen würde, "an Zynismus nicht zu überbieten" seien. Außerdem erklärte sie, dass sie nicht damit gerechnet hätte, dass der eigene Bundesparteivorsitzende jemandem vorwerfe, Menschen anzulügen.
Häupl wiederum stärkte Faymann den Rücken. Wie sein Vorredner betonte er, dass man nur mit einer gemeinsamen europäischen humanitären Politik die Lage entschärfen könne. Und außerdem fügte er zweideutig hinzu: "Diskutieren tut man nicht mit Pfeiferln, sondern mit Leut", so Häupl.
Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser versuchte im Zuge der anschließenden Debatte die Wogen zu glätten: "Lasst uns Zeit, die Menschen, die hier sind, zur versorgen und zu integrieren - und hört auf mit der Diskussion über Richtwert, Tür und Zaun. Hört damit auf, uns intern aufzureiben. Wir brauchen eine starke Sozialdemokratie, um die kommenden Herausforderungen erfolgreich zu meistern", sagte sie.
Kritik an UNHCR und ÖVP
Erstaunt zeigte sich der Bürgermeister über die Rüge des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR). "Bevor man Österreich kritisiert, das zu jenen Ländern gehört, die am meisten Flüchtlinge aufgenommen habent, sollte lieber darauf geschaut werden, dass in bestehenden Lagern die Kinder nicht verhungern", meinte er.
Kritik übte Häupl auch an den anderen Bundesländern, die seinen Angaben zufolge ihre Quoten nicht erfüllen würden. "Der Anteil Wiens an aufgenommenen Flüchtlingen beträgt 117 Prozent. Wenn dann der oberösterreichische Landeshauptmann sagt, wir können gar nicht so viel aufnehmen, weil Wien so viel hat - dann kann ich nur sagen: Verarschen kann ich mich selber, das ist lustiger", so Häupl.
Weitere Seitenhiebe setzte es gegen den ÖVP-Vorschlag, die Mindestsicherung für Asylwerber herabzusetzen. Vom ersten Tag an hätte die ÖVP die bedarfsorientierte Mindestsicherung denunziert und von Sozialmissbrauch geredet. Dabei sei sie ein wesentliches Instrument der Armutssicherung. "Aber das ist ihnen wurscht", polterte Häupl. "Der Rechtsaußen-Flügel der ÖVP inklusive Sebastian Kurz befeuert mit seinen Vorschlägen die Obdachlosigkeit."
Sozialstadträtin Sonja Wehsely betonte wiederum in diesem Zusammenhang, dass Österreich im vergangenen Jahr 680.000 Euro für die Mindestsicherung ausgegeben habe und 1,9 Milliarden Euro für die Landwirtschaftsförderung. "Da sieht man deutlich, wo die Schwerpunkte liegen", meinte die Stadträtin. Der ÖVP gehe es nur darum, einen Kahlschlag des Sozialsystems auf Kosten der Flüchtlinge zu machen.
Semi-erotische Beziehung
Aufhorchen ließ Häupl dann mit seinem Vorschlag nach einem gemeinsamen Gymnasium und sprach von einer "anscheinend semi-erotischen Beziehung der ÖVP zum Wort Gymnasium". Er, Häupl, hänge jedenfalls nicht an einem bestimmten Türschild. Schon jetzt seien etwa Lehrpläne und Schulbücher in den jeweiligen Unterstufen identisch. "Wenn wir das Ganze gemeinsames Gymnasium nennen, die ÖVP damit ihre Befriedigung findet und wir die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen kriegen, ist alles gut", meinte Häupl.
Im Gegensatz zu Faymann erntete Häupl nach seiner Rede Standing Ovations von den Genossen. Bei der ÖVP reagierte man übrigens umgehend auf Häupls Vorschlag: "Wenn Häupl jetzt davon spricht, das Gymnasium zur Gesamtschule zu machen, heißt das nichts anderes, als auch noch eine bestens funktionierende Schulform in Wien zu ruinieren", erklärte Klubchef Gernot Blümel. Eine flächendeckende Gesamtschule wäre "sozialistische Gleichmacherei und Nivellierung nach unten".