Schweizer Richter sprachen die Manager von der Schuldhaftigkeit für den Untergang der Swissair frei. Das Bawag-Debakel ist zwar etwas anderes, aber nachdenken darf man trotzdem. | Egal ob eine Bank, ein Gewerkschaftsbund oder eine Fluglinie in den Abgrund gestürzt wird: Irgendwann sind die Richter am Wort. Das gilt ab Juli für den Ex-Bawag-Generaldirektor Helmut Elsner und einige seiner Kompagnons. Das galt für die Top-Manager der einstigen Swissair.
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Der Hauptprozess um den Untergang der Schweizer Fluglinie ist abgeschlossen. Der einfachste gemeinsame Nenner zwischen dieser und der österreichischen Affäre lautet: In den höchsten Management-Etagen geht es so bunt zu, dass sich kein Richter auskennt.
Es ist ja wirklich eine unglaubliche Sache, eine ganze Fluglinie zu versenken, noch dazu jene, die sich selber als idealste aller Airlines betrachtete, ein Musterbeispiel an Pünktlichkeit, Seriosität, Sicherheit und Servicefreundlicheit. Und dann lässt die Swissair am 2. Oktober 2001 einige Tausend Passagiere in Zürich sitzen, weil der Konzern mit Schulden von zehn Milliarden Euro zahlungsunfähig geworden ist und kein Flugzeug mehr in die Höhe bringt. Man darf ohne Anflug von Hohn sagen: Selbst im Absturz war das Paradeunternehmen von einmaliger Akkuratesse.
Nach jahrelangen Erhebungen wurde nun der Swissair-Prozess von Jänner bis Juni dieses Jahres durchgezogen. Das Ende ist sensationell. Alle 19 Angeklagten wurden freigesprochen, bei manchen Delikten zwar nur in dubio pro reo, aber eben doch.
Warum Konzernchef Mario Corti und seine Mitspieler so billig über die Runden kamen, verstehen nicht alle Schweizer Brüger. Es gibt harsche Kritik und Berufungen gegen die Urteile.
Und es verstärkt sich die Einsicht, dass es Gerichte extrem schwer haben, wenn sie sich auf ein Feld begeben, das mit "Konzernwirklichkeit" umschrieben werden kann. Was bleibt von den Anklagepunkten "Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung, ungetreue Geschäftsbesorgung, unwahre Angaben über kaufmännisches Gewerbe, Misswirtschaft, Gläubigerbevorzugung" übrig, wenn die Angeklagten Sachzwänge darstellen, die an einem Tag X um 15 Uhr aufgetreten seien?
In der Mechanik der Abläufe verdünnt sich die strafbare Absicht und wird zur Unternehmenslogik. Und dann ist auch nicht mehr zu unterscheiden, ob die Swissair der belgischen Fluglinie und Tochterfirma Sabena Rückendeckung geben wollte oder sie aus dem Motiv der Selbstrettung noch schneller in den Konkurs getrieben hat als sich selbst.
So wie Corti den Vorwurf abschmetterte, er habe 108 Millionen Euro Verlust in Kauf genommen, indem er die Insolvenz erst am 4. Oktober und nicht schon, wie erkennbar gewesen, am 17. September 2001 beantragte, wird Elsner sehr bald vehement jeden Schritt - von der ungedeckten Bawag-Jahresbilanz 1998 bis zur Übernahme der Haftung durch den ÖGB - als fortlaufende Rettungsaktion darzustellen, nach dem Motto: Eine Bank, Herr Richter, operiert eben in anderen Größenordnungen und könnte gleich zusperren, wenn sie es nicht täte.
Eine Rätselfrage freilich ist zwar nicht lösbar, wirft aber ein schiefes Licht auf die Verhältnisse, nämlich die in Österreich: Musste die Swissair überhaupt zu Grunde gehen? Oder ist es bloß so gekommen, weil in der Schweiz undenkbar wäre, was in Österreich glatt durchgeht: dass zuerst ein Gewerkschaftsbund heimlich sein Gesamtvermögen verpfändet und dann, wenn gar nichts mehr hilft, auch die Republik eine Bundeshaftung in der Höhe von 900 Millionen Euro gewährt, wie dies mit Wirkung vom 1. Mai 2006 geschah.
Die größten Dummheiten passieren hierzulande nur mit öffentlicher Absicherung.