Zum Hauptinhalt springen

"Folter ist ein Herrschaftsinstrument"

Von Alexander U. Mathé

Politik

Als Instrument zur Informationsbeschaffung fragwürdig, wirken die Folgen der Tortur noch lange nach.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Folter ist grausam, brutal und zerstörerisch. Sie ist verboten. Eigentlich sollte es in westlichen Demokratien keinen Platz für sie geben; und doch gibt es sie. Ganz offiziell. Um Bösewichte auszuquetschen und so von der Gesellschaft größeres Übel abzuwenden. Doch dass es darum geht, bezweifelt Rainer Mausfeld, Professor für Allgemeine Psychologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.

"Die Folter hat eigentlich nie der Informationsbeschaffung gedient", erklärt Mausfeld. "Sie war immer ein Herrschaftsinstrument gegen alle, die die Machtordnung gefährden." Vom Mittelalter über die Kolonialzeit bis heute sei Folter vorrangig dazu genutzt worden, Aufstände zu bekämpfen und zu vermeiden. Ziel ist es, die Bevölkerung in Angst und Gehorsam zu versetzen. Denn treffen kann es jeden – "und zwar völlig rechtsfrei", wie Mausfeld sagt. Die Vorgehensweise habe System. "Guantánamo, Bagram: Man versucht das immer als Entgleisung darzustellen, aber das sind keine Einzelfälle, da gibt es eine lange Kontinuität."

Dass der Informationsgehalt unter Folter erbrachter Geständnisse mehr als zweifelhaft sei, darauf habe im Fall der USA der Ära George W. Bush bereits das FBI hingewiesen. Die angewandten Techniken brächten verzerrte, unbrauchbare oder sogar fehlleitende Informationen – immerhin gestehen Opfer alles, nur um die Folterung zu beenden.

Doch wer die Frage nach dem Nutzen stellt, befindet sich für Mausfeld ohnedies auf dem falschen Weg. Denn implizit werde dadurch suggeriert, dass sie legitim wäre, wenn sie effektiv ist. "Ebenso könnte man sich die Frage stellen, ob Sklaverei nicht auch nützlich wäre." Folter ist nun einmal von Rechts wegen ausgeschlossen. Um den Rechtsbruch jedoch nicht offensichtlich zu machen, ging man in Demokratien zur sogenannten weißen Folter über. Die ist im Gegensatz zu früheren Zeiten nicht blutig, aber nicht minder effektiv. Darunter fällt beispielsweise das berüchtigte Waterboarding, das Scheinertränken der Folteropfer. Offensichtliche körperliche Narben bleiben da nicht zurück, doch die psychischen sind ausreichend desaströs.

"Bei der Folter ist es wichtig, den anderen als unterlegen darzustellen, als Untermenschen. Das findet man teilweise wörtlich in den Verhörhandbüchern, zumal jenen von Guantánamo. Der Gefangene muss daran erinnert werden, dass er weniger als ein Mensch ist." Dazu kommt die totalitäre Situation, in der der Einzelne keine Aussicht auf Entkommen hat. Die Folteropfer sind ihren Peinigern ausgeliefert: Diese können ihnen Essen und Schlaf entziehen oder sie sexuell erniedrigen. Die Folterknechte erlangen so eine Position, in der sie eine "gottgleiche Macht" über ihre Opfer haben. Das gibt dem Einzelnen das Gefühl, er habe überhaupt keinen Willen mehr. Die Integrität der Person, des Selbst, wird zerbrochen.

Gefangen in der Erinnerung

"Das zentrale Problem ist die Ohnmacht", erklärt Metin Basoglu. Der Professor für Psychologie ist Gründer des Istanbul Centre for Behaviour Research & Therapy, das die Auswirkungen von Folter und Therapien für Opfer erforscht. Ohnmächtig sind die Opfer bei der Folter, hilflos dem grausamen Walten eines anderen ausgeliefert. Ohnmächtig sind sie auch, wenn sie zusehen, wenn anderen Leid angetan wird. "Zeuge von Folterungen zu sein und nichts dagegen unternehmen zu können, das ist schlimmer, als selbst gefoltert zu werden", sagt Ex-Guantánamo-Insasse Mozzam Begg. Eine Freilassung beendet das Martyrium nicht, denn die Ohnmacht verfolgt die Folteropfer auch weiterhin.

Bei Folter gehe es darum, jemandes seelisches oder körperliches Wohlergehen zu bedrohen und ihn in eine Situation zu bringen, in der er die Kontrolle über die traumatischen Ereignisse verliert. So wird ein Zustand totaler Hilflosigkeit herbeigeführt. "Angst, Beklemmung, Depression und posttraumatische Störungen sind die üblichen Folgen", erklärt Basoglu. Daher meiden sie Situationen, die sie an die traumatische Erfahrung erinnern, und verlieren so die Kontrolle über ihr Leben, was die Hilflosigkeit verstärkt. Wichtige Lebensbereiche werden beeinträchtigt, obwohl die eigentliche Gefahrensituation längst vorbei ist.

"Nehmen wir jemanden, der mit Strom gefoltert wurde: Der wird nach Möglichkeit den Kontakt zu elektrischen Dingen meiden. Das kann so weit gehen, dass er Schwierigkeiten hat, das Licht einzuschalten." Doch es gibt vieles, das im alltäglichen Leben an das Erlebte erinnern kann. Etwa ein Bewerbungsgespräch. Die Befragung durch eine mit Autorität ausgestattete Person kann schnell an die Verhörsituation erinnern. Ebenso eine Gewaltszene im Fernsehen, eine Beschreibung in einem Buch, eine Bewegung auf der Straße. Das Resultat kann so aussehen: Das Opfer hat keinen Job, kein soziales Umfeld und verlässt das Haus nicht mehr. Das wiederum verstärkt das Gefühl von Hilflosigkeit und Depression.

Im Istanbul Center for Behavior Research and Therapy versucht man, Folteropfer in die entgegengesetzte Richtung zu führen. "Wir ermuntern die Menschen, sich an die traumatischen Erlebnisse zu erinnern", sagt, Basoglu. "Das ist einer Impfung ähnlich." So wie bei einer Impfung eine abgeschwächte Form des Virus verabreicht wird, rufe man die Erinnerungen an die Beklemmung auf, um psychologische Immunität dagegen zu erlangen. So erlangen die Folteropfer wieder Kontrolle über die Erinnerung und entwickeln eine Toleranz gegenüber der Furcht, Beklemmung und Stresssituationen. "Wir sagen den Leuten: Du hast zugelassen, dass dein Trauma – deine Angst, deine Beklemmung – die Kontrolle über dein Leben übernimmt. Du bist in einer Situation der Hilflosigkeit, weil du dich dieser Angst ergibst. Du kannst aber die Kontrolle wiedererlangen, wenn Du Deine Angst kontrollierst."

Eine Studie des Zentrums zeigt, dass mit dieser Behandlungsmethode mit durchschnittlich sechs Behandlungssitzungen eine Heilungsquote von 90 Prozent erzielt werde. Wobei Heilung in diesem Fall bedeutet, wieder ein normales Leben in der Gesellschaft führen zu können.